Philipp Meyer führt die Fäden langsam zusammen. Von Kambodscha nach Deutschland und wieder zurück?
von Philipp Meyer
Wenig später schreibt sie ihm. „Ich freu mich auf nachher. Soll ich etwas mitbringen?“
Die Antwort überrascht sie. „Lieber bis gleich. Hast du Lust auf einen Kaffee? Ich hab was Interessantes für dich.“
„Sorry, keine Zeit“, denkt sie, aber dann entscheidet sie, dass ein kurzer Plausch mit Alex ja auch inspirierend für ihren Artikel sein könnte.
In der Cafeteria setzt sie sich mit gespielter Ernsthaftigkeit an den Tisch: „Du weißt, dass ich gerade ziemlich viel zu tun hab. Ich warne dich, wenn es nicht wichtig ist.“
„Ach du, immer hast du Arbeit.“ Sein diebisches Grinsen scheint Streit zu suchen. „Wann warst du eigentlich das letzte Mal im Urlaub?“
„Ich war über Ostern bei meinen Eltern. War schön da.“
Er zieht seine Brauen nach oben, lässt die Mundwinkel nach unten fallen und nickt mit aufgesetzter Wichtigkeit. Sein Gesicht sieht aus wie eine faltige Kartoffel, denkt sie, eine ernste, faltige Kartoffel. „Ein Urlaub zu Hause. So lernt unsere junge Journalistin also die Welt kennen.“
„Du Arsch, mach dich nicht über mich lustig“, denkt sie und sagt: „Alex, mein Schatz, du hättest mich auch direkt fragen können, ob du mich zum Urlaub einladen darfst.“
„Warst du schon mal in Kambodscha?“
Giftgasangriff im Kampf um Kambodscha. Sie kann sich noch gut an den Artikel von heute Morgen erinnern und will lieber wieder bei ihren Eltern Urlaub machen.
„Ich habe neulich von einer interessanten Tempelanlage dort gelesen. Seit dem 10. Jahrhundert haben mehrere Generationen von Königen daran gebaut. Das kann man heute noch an den ganz verschiedenen Baustilen sehr gut erkennen kann. Und weißt du, warum sie so unterschiedlich gebaut haben?“
Wahrscheinlich weil es immer eine andere Zeit war, in der sie gelebt haben. Eine andere Mode eben.
Zufrieden lehnt sich Alex zurück. „Genau falsch. In Wahrheit, weil sie alle wollten, dass ihr Teil der schönste, der wichtigste ist und sich aus dem Ganzen hervorhebt, damit sich alle an den großen Baumeister erinnern. Und weißt du, was ich denke?“
Sie will es nicht wissen, weil sie sich gerade vorstellt, wie Alex als kleines Kind mit einem Lolli in der Hand begeistert erzählt, warum im Sommer Lutscher eigentlich viel praktischer sind als Eistüten. Diese Begeisterung langweilt sie.
Alex weiß das, aber es stört ihn nicht. „Ich denke,“, fährt er fort, „dass das in unserer Redaktion ganz genauso ist. Wir sind die kleinen Bauarbeiter und die, von denen die großen Titelseiten kommen, das sind die Baumeister, die Könige. Zusammen ergibt das eine schöne Reihe an Zeitschriften, aber in Wirklichkeit will doch jeder nur, dass sein Teil der schönste und wichtigste ist. Der, den alle beachten. Der Teil, der den Tempel erst so richtig zu dem macht, von dem alle reden. Verstehst du, der Tempel in Kambodscha ist das Sinnbild unserer Arbeit!“
Sie versteht nur, dass er offenbar nichts zu tun und in ihr ein Opfer gefunden hat, dem er von Urlaub, Kambodscha und seinen seltsamen Vergleichen erzählen kann. Sie rückt ihren Stuhl einige Zentimeter zurück und rutscht nervös nach vorne. „Und deswegen soll ich jetzt nach Kambodscha fahren um mir das Sinnbild unserer Redaktion anzuschauen?“
Alex freut sich und lacht. „Wieder falsch. Du sollst nach Kambodscha fahren, um deinen eigenen Teil vom Tempel zu bauen.“Sie greift nach ihrer Kaffeetasse. „Ich muss los. Ich hab jetzt noch zu tun. Wir sehen uns heute Abend, okay?“
„Warte“, sagt er, „das ist mein Ernst“. Ich habe einen Freund aus dem Studium der jetzt bei der GEO ist. Sie arbeiten schon länger an einer Ausgabe über Kambodscha und jetzt suchen sie noch nach jemandem, der ihnen eine gute Reportage liefern kann. Ich habe ihm von dir und deinem Reisebericht letztes Jahr erzählt. Und gerade vorhin hat er mich angerufen und gesagt: Wenn du so zuverlässig wie gut bist, dann wollen sie dich. Es ist nur so: Ein bisschen drängt die Zeit. Der, den sie eigentlich damit beauftragt hatten, der hat es so richtig versaut.“