Fortsetzungsroman, Seite 11a

Neue Seite, neue Autorin! Lea Sauer schreibt unseren Fortsetzungsroman weiter.

von Lea Sauer

Vor mir steht der Küchentisch voll. Zigarettenschachtel alle. Magen angetüdelt. Gehirn blank, vor mir alles leer. Vor mir nur der Drang. Raus hier, weg von dem Brief und dem, was ich mir davon erhofft habe. Weiß ich selbst nicht mehr. Ich muss hier weg. „Ich muss weg, sorry.“ Nur das.

Als ich selbst in Kambodscha war, vor ungefähr vier Jahren, da war mir das alles egal. Job egal. Morgen egal. Übermorgen auch egal. Ich war da und es war jetzt, das reichte. Es brauchte ein paar Monate bis ich diesen Zustand erreichte,  zwei oder so. Eigentlich kam er erst mit Ivita. Irgendwann kam sie zu uns. „Hi. Ivita. Radičová.“ Nachname egal. Zählt hier eh nichts. Dann wiederum war sie doch nicht da. Kann man schwer beschreiben, aber sie war irgendwie nicht von dieser Welt. Sie hing mit uns ab in Phnom Penh, mit ihrer Attitüde, entrückt, hart und cool. Wir wussten praktisch nichts über sie, sie sprach in Aphorismen, aber die waren gut. Zum Beispiel redeten wir über etwas, wirklich einfach irgendwas, und plötzlich sagte sie Sätze wie: „You know, you’re problem is, you try to keep life controlled. Nothing can be controlled. It all happens by accident. That’s it.“ Und mit so Worten schlug sie uns immer wieder sprach- und atemlos. Sie schien alle ihre Maximen zu leben. Ich verstand nie so ganz, welche das genau waren, denn ihre Verbindung zum Leben schien vollkommen lose, aber ich wollte das auch. Diese Coolness. Dieses Leben. Zumindest damals. Besonders die Zeit nach dem Waterfestival, als alle die Panik packte, uns aber nur das Gras in die Lunge schlug und wir alles verschliefen. „Ey man, can you believe we slept while this was happening? Can you believe that? What the fuck!“ Man, we just slept. Fünfhundertmeter neben uns eine Massenpanik fürs Geschichtsbuch und wir dort, nichtsahnend, liegend, zu weit weg für das Geräusch von brechenden Brücken. Aber im Übrigen ist es ganz gleich, ob Menschen aus Angst oder Freude schreien, klingt nicht sehr unterschiedlich. Ist so. Sagte zumindest Ivita damals. Aus der Entfernung, mit dem Kopf voll Rauch, alles egal. Wenn sie jetzt hier wäre, dann vielleicht auch dieses Gefühl, dass man noch mal davon gekommen ist. Dass es scheißegal ist, was man plant, wo man ist oder was um einen herum passiert. Passiert eh alles zufällig, kann man nichts machen. Ivita hatte uns damals schon längst beigebracht, dass es besser ist, alles so zu nehmen, wie es ist. Irgendwann hatte sie das so gesagt und sie sagte es auch jetzt: „You’re just lucky if you are. If you aren’t, you aren’t.“ Achselzucken. Das Zucken nahm uns den Atem. Verriet auch ein bisschen von der Kälte, die sie in sich hatte. Und ich war neidisch darauf. Am nächsten Morgen war sie weg. Neben dem Glas Wasser nur eine Adresse: Špitálska 35
811 08 Bratislava, Slovak Republic. Das und „COME VISIT.“
Wenn ich Ivita jetzt wiederfinden könnte, dann vielleicht auch das Gefühl, das sie mitgebracht hat, was damals rumging und einer Wüste gleich war, so ähnlich wie jetzt.

Ich packe nichts ein, brauche nichts, ist jetzt eh alles egal. Die Straßen vorm Haus so leer wie mein Herz. Pech. COME VISIT. Der Morgen mindestens gefühlte zehn Grad kälter als gestern, der Bahnhof noch unbewohnt, die Frau am Schalter noch mit dem Kaffee, aber schon lauwarm, in der linken Hand. In der rechten ihren Kopf aufgestützt: „Wohin soll’s gehen?“
„Bratislava, bitte.“ Geil.