von Judith Kaiser
Im Westerwald müssen Pferde richtig schuften – und das Holzrücken macht ihnen auch noch Spaß
Der Wald ist noch düster, feucht und kalt. Man hört dasKlirren schwerer Ketten und vom weichen Boden gedämpftes Hufgetrappel. In der Luft liegt würzig-warmer Pferdegeruch. Auf dem verlassenen Waldweg trotten zwei schwere Kaltblüter, geführt von zwei jungen Männern. Die Tiere tragen Arbeitsgeschirre und ziehen Metallstangen hinter sich her, an denen schwere, eiserne Ketten befestigt sind.
Es ist morgens halb acht. Im Dezember 2012. Doch es könnte auch hundert Jahre früher sein. Nur die korallenroten Reflektoren auf den Arbeitshosen der beiden Männer signalisieren moderne Zeiten. Alles andere atmet wohltuende Ruhe. Stiller Wald, schnaubende Pferde, gedämpfte Männerstimmen. Kein Verkehrslärm, keine Maschinen. Nichts aus unserer hektischen Arbeitswelt.
An einem Hang unterhalb des Waldweges halten die Pferde und die Männer an. Daniel Seidel und Stefan Goltz besprechen sich. Die beiden Holzrücker beschließen, diesmal etwas Abstand zueinander zu halten. Als sie das letzte Mal zusammengearbeitet haben, ist eines der Pferde durchgegangen und hat das andere dabei beinahe verletzt.
Dann beginnt der Abstieg in den Hang, der steil und rutschig ist. Kreuz und quer liegen gefällte Buchenstämme, die die Pferde in Reihen rücken sollen. Der Einsatz von Maschinen würde hier diejenigen Bäume, die noch stehen, beim Schleppen beschädigen. Deshalb rücken die Pferde das Holz. Ziehen die im ganzen Hang verstreuten Stämme einzeln zu sogenannten Rückegassen zusammen.
Zwei lange Reihen von Stämmen werden es am Ende sein, so lang, wie der Hang hoch ist. Die aufgereihten Stämme werden dann später von einem Forstschlepper auf den Weg gezogen. Forstunternehmer Daniel Seidel erklärt, dass es für die Pferde zu schwer wäre, die Stämme ganz aus dem Hang zu ziehen. Ein Rückepferd kann zwar zwischen 200 und 800 Kilogramm Holz ziehen, je nach Steigung und Länge der Strecke. „Überlastet man ein Pferd, wird es sich verweigern und wäre dann für den Einsatz im Wald nicht mehr zu gebrauchen“, sagt Daniel Seidel.
Wasco ist nervös. Der neunjährige Kaltblut-Wallach scharrt mit den Hufen, schnaubt und tänzelt. „Har! Komm! Brr!“ Seidel muss die Befehle für „links“, „vor“, „steh“, „rechts“ und „zurück“ öfter wiederholen. Nach zehn Minuten sind Mann und Pferd schweißnass. Die Arbeit im Hang ist nicht nur für das Tier, sondern auch für den Forstwirtschaftsmeister extrem anstrengend und erfordert volle Konzentration. Seidel dirigiert den 750 kg schweren Wasco – ein Rheinisch-Deutsches Kalt-blut – nur mit zwei Seilen und seinen Kommandos durch das schwierige Gelände. Dabei muss er mit dem Pferd schritthalten und sofort reagieren, wenn ein Stamm sich verkeilt, das Tier erschrickt oder die Zugseile nicht richtig sitzen. Für diese Arbeit muss man sein Pferd gut kennen. Gegenseitiges Vertrauen ist wichtig.
„Jedes Pferd ist anders“, sagt der Holzrücker. Er ist mit Pferden aufgewachsen und besitzt inzwischen drei Kaltblüter. Wasco, mit dem er seit etwa einem Jahr arbeitet, hat keine Probleme, im Anhänger zu fahren. Dafür ist er bei der Arbeit nicht so souverän und ausgeglichen wie die sechsjährige Bretonen-Stute Sydney, die der 28-Jährige selbst ausgebildet hat. Sydney mag allerdings die Fahrten im Anhänger nicht und ist auch nicht so kräftig wie Wasco. Und dann ist da noch Eragon. Das Pferd ist zwei Jahre alt und ein Rheinisch-Deutsches Kaltblut wie Wasco. Eragon hat eine schwarze Mähne und einen schwarzen Schweif. Er taugt noch nicht für den Wald. Daniel Seidel muss den Jungwallach noch erziehen und ausbilden.
Die Ausbildung eines Rückepferdes beginnt erst zwischen dem dritten und vierten Lebensjahr. Die Kommandos beherrschen die Tiere schon nach drei bis sechs Monaten, je nach Talent. Dann muss die Konzentration trainiert werden. Anfangs können die Tiere nämlich nur etwa 15 Minuten lang bei der Sache bleiben. Um mehrere Stunden am Stück zu arbeiten, brauchen sie Erfahrung und Routine.
Die Arbeit mit Rückepferden ist zeitaufwendig und mutet anachronistisch an. Doch sie lohnt sich trotzdem. Gerade in schwierigem Gelände, wo die schweren Forstmaschinen schlecht oder gar nicht einsetzbar sind und zudem erhebliche Schäden am Bestand und Boden anrichten würden, sind Rückepferde eine ökologisch und ökonomisch sinnvolle Ergänzung.
Pferde „verbrennen“ nachwachsende Rohstoffe wie Gras, Heu und Hafer. Sie verlieren kein Öl, sondern wertvollen Dünger. Sie verdichten weder den Boden, noch richten sie nennenswerten Schaden an Wurzeln oder Bäumen an. Und sie verursachen weder Lärm noch Gestank im Erholungsgebiet Wald.
Auch wirtschaftlich macht der Pferdeeinsatz Sinn. Die Rückearbeit im Hang geht schneller als mit Maschinen. Der Abtransport der aufgereihten Stämme wird leichter. Und die Pferde arbeiten witterungsunabhängig. Zum Beispiel dann, wenn es sehr nass ist und eine Maschine nicht mehr fahren kann.
Daniel Seidel arbeitet nicht nur zum Spaß an diesem Montagmorgen. Er setzt seine Pferde im Rahmen größerer Aufträge für seinen forstwirtschaftlichen Betrieb ein. Wenn er zum Beispiel wie heute 10.000 Quadratmeter Wald durchforsten soll. Inzwischen bekommt er auch Aufträge für sich und seine Pferde von Dritten.
„Von einem Trend kann man zwar nicht sprechen, aber ich mag die Arbeit mit den Pferden“, sagt er und tätschelt Wasco den Hals.