Erfahrungsbericht LARP

von Björn Vorspohl

Es ist Mittwochabend. Ich sitze im Wohnzimmer meiner WG und es herrscht ein gigantisches Chaos. Normale WG eben, würde jetzt der ein oder andere bestimmt sagen, aber etwas ist komisch. Neben T-Shirts und Boxershorts finden sich auch seltsame Hüte und andere ziemlich bunte Klamotten und an der Wand hinter mir lehnt ein Schwert aus Schaumstoff.

Nein, ich beseitige nicht gerade die Überreste einer wilden und etwas seltsamen Party, sondern packe für ein Live Action Roleplay, kurz ein Larp.
Morgen früh soll es losgehen. Nach von Siegen über Köln in die Nähe von Nürnberg.
Während ich mit einem Gruppenmitglied telefoniere, dass ich morgen in Köln einsammeln soll bekomme ich kurz Panik, da mein Essmesser mit dem tollen Horngriff nicht aufzufinden ist.
Nach kurzer Recherche finde ich es sich bei meinem Mitbewohner, der es sich ausgeliehen hatte, da unsere sonstigen messerähnlichen Gerätschaften fürs Schneiden doch eher eine Zumutung darstellen.
Ich beende das Telefonat, die morgige Reise ist zur Genüge geplant packe meinen restlichen Kram zusammen und verfrachte schon mal das meiste ins Auto. Dann schnappe ich mir mein Nähzeug und setze mich daran die Weste fertig zu nähen, die ich in den nächsten Tagen als Erik tragen wollte. Natürlich wollte ich damit schon vor Monaten fertig sein. Man kennt es. Als Einstimmung auf morgen schalte ich Game of Thrones an und nähe dabei bis fast drei Uhr morgens, aber dann ist die Weste endlich fertig!

 

Nach zu wenig Schlaf werde ich wach und fühle mich ein wenig wie am Weihnachtsmorgen. Und das, obwohl ich gar nicht mehr zählen kann, auf wie vielen solcher Events ich mittlerweile schon dabei war. Eigentlich könnte ich noch etwas liegen bleiben, aber sofort springt das Gedankenkarusell an. Habe ich an alles gedacht? Wie wird es wohl werden. Wird das Wetter halten? Außerdem freue ich mich darauf, meine Freunde  zu sehen. Einer der Jungs aus der Gruppe war auf der selben Schule wie ich und wir betreiben das Hobby  jetzt seit fast 16 Jahren zusammen. In der Zeit haben wir, und auch unsere Charaktere erhebliche Wandlungen durchgemacht.
Ich stehe also auf und mache mich fertig. Ein letztes Mal checke ich, ob ich auch nichts vergessen habe und mache noch ein paar Einkäufe. Dann setze ich mich in mein, bis unters Dach vollgestopftes Auto und los geht’s!

Als ich bei Michelle, dem Gruppenmitglied aus Köln, vor der Haustüre halte, sehe ich schon die ersten gepackten Taschen draußen stehen. Ich klingle und kurz darauf kommt sie lachend aus der Tür! „Naaaaa?!“ sagt sie und wirkt begeistert und motiviert ist. Schnell verstauen wir ihre Sachen in meinem Toyota Aygo, was tatsächlich einer Partie Tetris gleichkommt und dann kann es auch schon losgehen. Schnell noch ein paar Dosen Energy für mich und ein Radler für Michelle am Kiosk gekauft und auf geht’s. Um 19 Uhr werden wir ankommen. Das verspricht zumindest unser Navi. Wie es sich doch täuscht…

In Köln auf der Autobahn angekommen fahren wir in unsere erste Baustelle und somit, natürlich, den ersten Stau. Aber die Sonne scheint, meine Klimaanlage funktioniert und wir finden irgendwo in den tiefen meines Handschubfachs eine CD, die seit meiner Abi Zeit in meinem Auto lebt und auf der etwa jedes dritte Lied tatsächlich funktioniert.
So geht es eine Weile weiter. Wir fahren von Baustelle in Baustelle und reden über unsere Charaktere. Welche Motivation treibt sie an. Was wollen wir in den paar Tagen auf jeden Fall machen und, und und…
Etwa gegen 22 Uhr, unzähligen Baustellen und noch mehr Staus, sehen wir dann endlich das Gelände.
Anders als bei den riesigen Veranstaltungen wie Drachenfest oder Conquest wirkt es ein wenig, als würden wir auf eine Grillparty mit freunden fahren.
Die anderen haben unser Zelt zum Glück schon aufgebaut und es gleich einmal als Vorratszelt mit eingeplant. Klasse, näher am Bier denke ich mir und räume schnell meine Sachen ein. Da die Veranstaltung schon um 16.00 Uhr angefangen hat, haben wir uns tatsächlich schnell auf dem Parkplatz umgezogen und sind schon perfekt in Rolle, als wir zu den anderen hinzustoßen. Das Gelände ist der Wahnsinn. Mehrere kleine, baumumstandene Wiesen die von wie gemalt aussehenden Weizenfeldern umgeben sind. Ich schaue mich um und denke mir perfekter könnte eine Mittelalterliche Landschaft nicht getroffen sein.
Den ersten Abend verbringen wir in geselliger Runde im Lager. Wir tauschen Geschichten über unsere Anreise aus – die wir uns zuvor überlegt hatten, damit alles aus unserer Gruppe, die vor dem Hintergrund der Handlung zusammen angereist sind, und essen richtig gründlich zu Abend während wir uns über die mitgebrachten Gin und Biervorräte hermachen.

Der erste Tag:
So entspannt und unaufgeregt, wie der erste Abend endete, so hektisch geht der erste Morgen an den Start. Eine Fanfare vom Turnierplatz verkündet den baldigen Beginn eben jenes Turniers und wir sind noch mitten in einem etwas ausgedehnten Frühstück. Hastig hechte ich los, um unseren Ritter (Meinen Kumpel Max) rechtzeitig bei der Turnierleitung zu den Waffengängen anzumelden und komme dann zurück gehastet, um ihm in seine Rüstung zu helfen.
So ein Ritter in halb angezogener Rüstung, der sich nebenbei noch ein Brot mit Wurst genehmigt, ist schon ein ganz eigener Anblick.
Allen Widrigkeiten zum Trotz schaffen wir es mit unserem Ritter rechtzeitig zum Turnierplatz. Hier werden zuerst die Helme begutachtet, eine sogenannte Helmschau, bei der die Damen die Kunstfertigkeit und die Pracht der Helme der teilnehmenden Ritter bewerten.
Nach einigem Hin und Her kann es dann endlich losgehen. Es gibt Kämpfe zu Fuß, bei denen wir unseren Ritter natürlich aus vollem Hals anfeuern und tatsächlich sogar eine Lösung für das Lanzenreiten – Relativ realistisch aussehende Pferde aus Holz, Metall und Plastik, die auf leicht abschüssigen Schienen auf einander zurollen –sowie natürlich das bunte Gewusel um die Wettkämpfe herum.
Die Ritter in aufwendigen Rüstungen oder hochwertiger Kleidung, das Gefolge, das meist damit beschäftigt ist zu essen und zu trinken und dabei den Eindruck zu erwecken sie wären hochgradig beschäftigt, die Gaukler und Händler, die Kunststücke und Lieder aufführen oder uns mit Wein, Schnaps, Süßwaren und Obst locken.
Gegen Mittag komme ich zu meiner ersten Herausforderung. Eigentlich habe ich so gar kein Problem vor größeren Menschengruppen zu sprechen. Eigentlich fühle ich mich damit sogar sehr wohl. Aber, und es ist ein großes aber, ich kann mir keine Namen merken. Normale nicht, und die ewig langen von Namensgeschwulste von Rittercharakteren und ihren Titeln schon mal überhaupt nicht. Und: Ich soll meinen Ritter Ansagen und mir gleichzeitig ein paar Floskeln in Richtung des Kontrahenten überlegen. Das kann ja heiter werden.

Zu meiner eigenen Überraschung mach ich es aber gar nicht so schlecht und bringe es dann doch recht Fehlerfrei über die Bühne. Im Anschluss verbringe ich etwas Zeit mit den anderen Herolden. Anders als ich, der ich nur aushilfsweise als solcher fungiere, haben die anderen Spieler sich die Rolle des Herolds bewusst ausgesucht und viel Liebe hineingesteckt. Ich sehe Wappenbücher, Schriftrollen mit Text und allerlei bunte Heroldsstäbe. Ich komme mir in meiner Rolle als ehemaliger Söldner tatsächlich ein wenig wie ein Emporkömmling vor. So kann man sich also auch nach Jahren noch wie ein LARP Anfänger fühlen, fällt mir auf.

Über den ersten Tag habe ich bereits so viele Leute kennen gelernt, dass der Abend dann wieder zu einem Fest wird. Erst bewirten wir verschiedene Ritter mit ihren Gefolgen, natürlich meist mit leckerem Gastgeschenk, die Herren und Damen tauschen Neuigkeiten aus ihren Lehen aus und beschweren sich über ihre Untertanen. Lustiger geht es da am Gesindetisch zu. Sobald die Herren mit sich selbst beschäftigt sind, packen wir die Würfel aus, und das Kupfer landet auf dem Tisch.
Nachdem der Adel zu Bett gegangen ist, kommt noch eine neue Sorte Gesinde hinzu. Solche, die den eben zu Bett gegangenen Adligen oftmals verblüffend ähnlich sind.
So ist unser Koch ein genaues Gegenbild von unserem Ritter, nur ohne Augenklappe und mit weit weniger fulminanter Ausrüstung. Es gibt noch Rätsel auf dieser Welt.

Irgendwann hält es uns nicht mehr im eigenen Lager und wir ziehen über den Platz um zu sehen, was denn noch so los ist. Natürlich verschlägt es uns über kurz oder lang in die mit viel Liebe aufgebaute Taverne, wo sich zu unserem Glück schon ein Trio aus Barden eingefunden hat.

 

Auch dieser Abend verläuft feucht fröhlich. Irgendwann verstehe ich mich mit einem der Jungs so gut, dass wir eine Barschlägerei inszenieren und uns nach schönster Bud Spencer Manier verhauen. Natürlich ohne uns zu treffen und einem großen Augenzwinkern.
Die anderen Tage vergehen ähnlich wie der erste. Es gibt Turnierkämpfe, den ein oder anderen Händel mit anderen Rittern oder deren Gefolge und kleine Spieleinlagen wie das Verfassen und überbringen von Briefen. Jeden Tag ist jemand anderes aus dem Lager damit betraut worden zu kochen und ein wenig fühlt es sich nach Das Perfekte Dinner Mittelalter Edition an.

Am letzten Tag gibt es dann mein persönliches Highlight. Der Buhurt für das Gefolge.
Dabei stehen sich zwei Gruppen Kämpfer gegenüber und versuchen sich in Simulation einer Schlacht gegenseitig zu besiegen. Im Larp wird es dahingehend lustig, dass ja schon der reale Buhurt, mit stumpfen Waffen usw. nur eine Simulation eines echten Kampfes ist, und die Larp-Variante somit eine Simulation einer Simulation. Solche Gedanken habe ich kurz, als ich in meine Rüstung schlüpfe, dann schiebe ich sie aber nach hinten und konzentriere mich auf das was vor mir liegt. Schließlich möchte Erik diesen Kampf gewinnen. Ich selbst kann mich davon natürlich auch nicht ganz frei machen, aber mein Hauptantrieb ist der Spaß dabei. Schon in der Schlachtreihe, also als sie die beiden Gruppen aufstellen, suche ich mir meinen Gegner. Einen Kerl mit großem Schwert und langem Bart. Er gehört zum Gefolge eines befreundeten Ritters und wir haben die Abende zuvor schon zusammen Zeit in der Taverne verbracht. Wir stürmen aufeinander zu und liefern uns in drei Runden ein wunderbares Gefecht. Anders als bei vielen Veranstaltungen sind Treffer gegen den Kopf erlaubt. Alle tragen einen Helm und ich habe das Gefühl noch nie mit so vielen Leuten gekämpft zu haben, die eine ähnliche Vorstellung vom LARP-Kampf haben wie ich. Es soll vor allem gut aussehen.

Müde, abgekämpft, durchgeschwitzt aber glücklich humpeln wir siegreich vom Feld und treffen uns, genau, in der Taverne. Morgen geht es wieder auf die Autobahn. Schade, eigentlich, aber die nächste Veranstaltung ist nicht mehr weit hin und schon auf dem Rückweg planen wir, was wir dort für Charaktere spielen könnten.