von Jana Gliese
Samba-Trommel und Trillerpfeife sind die Waffen der 24-jährigen Ronja in ihrem politischen Kampf
Im Schnellschritt laufen die Reisenden mit ihren Koffern und Taschen ins Düsseldorfer Flughafengebäude. Ronja lässt sich davon nicht beeindrucken. Sie hat sich mit ihren Leuten vor dem Eingang „Terminal B – Ankunft“ verabredet, um sich in Ruhe vorzubereiten. „Wir sind sieben aus der Samba-Gruppe. Hier ist der Rucksack mit den Sachen.“
Ronja ist 24 Jahre alt und studiert im siebten Semester Medizin. Sie ist groß und schlank. Ihr helles, reines Gesicht und die grünen Augen strahlen Freundlichkeit aus; die blonden Dreadlocks hat sie am Hinterkopf zusammengebunden. Sie trägt pinkfarbene Gummistiefel. Unter dem etwas zu weiten Rock kommt eine geringelte Strumpfhose zum Vorschein. Auf ihrem Rücken klebt ein silbernes Pappschild mit der Aufschrift „Bleiberecht überall“. „Nur noch die Trillerpfeife und dann los“, sagt Ronja aufgeregt. Die sechs anderen greifen in den Rucksack und schmücken sich mit rosa sowie silbernen Ketten und Federn. Vor ihnen liegen Trommeln und Rasseln.
Es ist die Samba-Gruppe aus Düsseldorf, und zwar eine politische. Ronja hat sie Anfang 2011 mit ihrem Freund Max gegründet. Max ist zehn Jahre älter als sie. Sein stabiler Körperbau lässt Ronja klein erscheinen. „Mein Freund hat mich damals zu Demos mitgenommen. Seitdem sag ich so meine Meinung, dafür ist Demokratie ja schließlich da! Außerdem hab ich neben dem Studium eh viel Zeit“, freut sich Ronja – dabei wird sie von Max genau beobachtet. Samba-Gruppen dieser Art gibt es auf der ganzen Welt. „Rhythms of Resistance“ – so nennt sich das internationale Netzwerk der Demonstranten. Protest wird mit harmlosem Spaß verbunden; dafür stehen die Farben pink und silber. Mit Samba-Musik wird gegen alles getrommelt, was gerade angesagt ist – gegen Atomausstieg, Kapitalismus oder rechte Gewalt.
Um kurz vor zehn gehen die sieben zielstrebig durch die Glastür ins Flughafengebäude. „Alle treffen sich oben beim Abflug. Wir nehmen die Rolltreppe!“, bestimmt Ronja und schaut auf ihre Armbanduhr. „Wir demonstrieren gegen Sammelabschiebungen von Roma – eine Ausweisung findet jetzt gerade nebenan statt.“ Flüchtlingsorganisationen und antirassistische Gruppen haben die Protestaktion organisiert. „No border, no nation! Stop deportation“, schallt es durch die Halle. Rund einhundert Personen haben sich versammelt; viele halten Schilder in die Luft. Zwei Mädchen haben ein weißes Bettlaken beschrieben: „Kein Mensch ist illegal! Bleiberecht überall!“ Die Demonstranten bilden einen Kreis – in der Mitte steht ein junger Albaner. Immer wieder ruft er in sein Megafon: „No border, no nation! Stop deportation“. Dann kommt er auf die Samba-Gruppe zu: „Geht ihr vor?“ Ronja nickt flüchtig, steckt sich die Trillerpfeife in den Mund und stellt sich selbstbewusst vor ihre Leute. Zu den schrillen Pfeiftönen tanzt sie eine Art Protest-Choreografie. Während sie von dem einen auf den anderen Fuß springt, hebt sie ihre rechte Hand und zeichnet ein Dreieck in die Luft. „So gebe ich den Takt an, damit die anderen wissen, wann sie mit den Instrumenten dran sind. Meine Rolle nennt sich ‚Maistra’, wie eine Dirigentin“, erklärt sie und scheint alles um sich herum zu vergessen.
Die Instrumente erzeugen einen gewaltigen Lärm. Viele Reisende bleiben stehen und schauen gespannt zu, wie sich die Menschenmenge in Bewegung setzt. Ganz vorne tanzt Ronja – aber rückwärts, damit sie den Blickkontakt zur Samba-Gruppe nicht verliert. Begleitet werden die Demonstranten von Kamerateams und der Flughafenpolizei, die zunächst nur beobachtet. Nach rund 400 Metern in Richtung Terminal C stellen sich die Protestierenden wieder im Kreis auf. Eine Frau, Mitte 50, hat das Megafon an sich gerissen. Sie redet zu laut, sodass nur einzelne Schlagwörter wie „Kosovo“ oder „kämpfen“ zu verstehen sind. Ronja hat den Versuch, etwas mitzubekommen, schon aufgeben und spielt an ihrer Trillerpfeife herum. „Ich bin wütend auf unsere Politiker! Wir müssen Menschen ohne Rechte eine Stimme geben!“ Nach zwanzig Minuten kommen zwei Polizisten auf die Samba-Gruppe zu. „Stellen Sie das Spielen bitte sofort ein. Man hört die Sicherheitshinweise nicht.“ Die anderen Demonstranten wirken gereizt und brüllen: „Feuer und Flamme den Abschiebebehörden!“ Die Samba-Gruppe brüllt nicht mit, hört auf zu spielen und geht wortlos zurück zum Anfangstreffpunkt.
Gegen elf ist die Demonstration vorbei. Geblieben sind ein paar Flyer auf dem Boden und die Samba-Gruppe, die sich in einer Ecke berät. Ronja ergreift das Wort: „Der Ausruf ‚Feuer und Flamme den Abschiebebehörden’, das geht nicht! Das ist Gewalt!“ Daraufhin ein Mädchen aus der Gruppe: „Ja, stimmt! Mir fällt noch was anderes Wichtiges ein: Was ziehen wir eigentlich nächsten Samstag an?“ Dann heißt es in Düsseldorfs Innenstadt: in Rosa und Silber gegen verkaufsoffene Sonntage!