Steffen Mues ist verärgert, der Staatsschutz ermittelt. Die Kunstaktion „Die Antuung“ hat für Aufsehen gesorgt. Aber was genau ist am Abend des 30.07.2021 an den Siegufern geschehen?
Von Christian Bocksch
Die als Stadtführung angemeldete Kunstaktion von Lena Hugger und Hagen Keller hat für Aufsehen gesorgt. Die Siegener Zeitung berichtete am 31.07.2021 in einem Artikel darüber, hier nun eine kurze Beschreibung der Vorkommnisse:
Treffpunkt war der Kreisel in Siegen, wo sich um 17 Uhr bereits über 40 Personen versammelt hatten, um der Kunstaktion beizuwohnen. Es bildeten sich kleine Gruppen, in denen geredet und gemutmaßt wurde, was wohl auf die Teilnehmenden zukommen würde. Immerhin war in der Ankündigung von einer Opferung gesprochen worden. Dann schließlich begann die Aktion, indem die Anwesenden in zwei Gruppen eingeteilt wurden. Während eine Gruppe alkoholische Getränke konsumierte, wanderte die fortan als die „Nüchternen“ bezeichnete Gruppe den Häusling hinauf. Da der hier berichtende Augenzeuge in letzterer Gruppe war, wird im Folgenden aus deren Perspektive geschildert, was geschah. Dabei immer umgeben von Musik, gespielt aus mitgeführten Lautsprechern.
Im Wald angekommen, hält der Gruppenleiter inne, und bittet die Anwesenden sich in einem Halbkreis zu versammeln. Er spricht über den Umgang der Menschen mit der Natur und wirft die Frage auf, was der Anteil der Anwesenden an der Zerstörung unserer Umwelt ist. Als am Ende seiner Ansprache die Zuhörer*innen anfangen möchten Beifall zu klatschen, bittet er sie darauf zu verzichten. Wie in einer Kirche, sollen sie das Gehörte ohne direkte Zustimmungsbekundung erst einmal stehen lassen, ein interessanter Gedanke. Die Gruppe wird insgesamt ruhiger und andächtiger.
Es geht weiter zwischen den Bäumen hindurch, über den mit altem Laub bedeckten Waldboden. Es ist inzwischen so still geworden, dass die knackenden und brechenden Äste, über welche die Gruppe läuft, die gemurmelten Gespräche übertönen. In einer Kuhle trifft die Gruppe auf zwei Musiker, die auf Streichinstrumenten spielen und einen auf dem Boden liegenden Künstler, neben ihm wie ein Sarg eine Autotransportbox. Nach einigen Minuten stößt die zweite Gruppe hinzu und beide bilden einen Kreis um die Vertiefung. Der Künstler hat sich inzwischen erhoben und fordert die Teilnehmenden auf, sich mit dem Rücken zur Mitte umzudrehen. Jeder von ihnen solle etwas, was mitgeführt wurde, in die Autotransportbox legen. So sammeln sich in den folgenden Minuten die unterschiedlichsten Gegenstände an. Flaschen und Steine, aber auch Ungewöhnlicheres wie etwa ein Personalausweis. Ist dies die Opferung, von der die Rede gewesen war?
Die beiden Gruppen teilen sich auf, und die „Nüchternen“ tragen die Transportbox mit je vier Trägern den Häusling hinunter. Wie in einer Prozession ziehen sie durch das Wohngebiet hinunter zur Hauptstraße, zu dem Parkhaus am Löhrtor. Nach den Eindrücken im Wald wirken die Häuser fast surreal. Nach diesem andächtigen Moment im ruhigen Wald dröhnen wieder die Motoren der Fahrzeuge, SUVs drängen sich durch zu enge Straßen, die von künstlichen Gärten umgeben sind. Ein starker Kontrast.
Nachdem die Transportbox im Parkhaus abgelegt wurde, gehen die „Nüchternen“ zu Fuß weiter an das Siegufer und ziehen erste Blicke in der Fußgängerzone auf sich. Die Gruppe setzt sich auf die großen Betonstufen und wartet auf die andere Gruppe. Es entspinnt sich eine spontane Diskussion über den Nährwert von Brennnesseln und ihrer Samen. Dann plötzlich erscheinen vier in Warnwesten gekleidete Ordner und sperren den Platz um einen der jungen Bäume ab. Dann wird zur Überraschung der meisten Anwesenden der Baum gefällt. Manche sind einfach nur verwirrt, andere fragen sich, wie und ob sie eingreifen sollen. Doch der Baum fällt bereits und bleibt mit seiner Krone am Ufer liegen. Ein Manifest wird über Megafon vor den Versammelten verlesen, zu denen sich auch Passant*innen gesellt haben. Aus den Fenstern der umliegenden Wohnungen recken Anwohner ihre Köpfe oder filmen mit ihren Smartphones. Was verlesen wird, erhalten die Zuschauer ebenfalls in ausgedruckter Form. Schließlich erscheint das Ordnungsamt.
Mit ihrer Aktion haben die Künstler eine Kontroverse angestoßen. Neben Hasskommentaren im Internet erhielten sie auch Zustimmung. Dieser Artikel möchte kein Urteil über die Recht- und Gesetzmäßigkeit des Geschehenen fällen, aber andersherum auch vor zu schnellen Urteilen warnen.
Wenn wir uns über den gefällten Baum am Siegufer beschweren, denken wir dann an all die anderen Bäume? An all die Bäume, die für die geplante Erweiterung der Universität am Haardter Berg gefällt wurden? An den Eingriff in das Naturschutzgebiet von SSI Schäfer, um einen illegalen Parkplatz zu bauen? Hier das von den Verantwortlichen verteilte Manifest: Das Manifest