von Natalie Meyer
Rebellisch entschied ich mich dazu, den sicheren Bereich des Flughafens zu verlassen und nicht weiter nach Kambodscha zu fliegen. Neuneinhalb Stunden waren sowieso eine viel zu lange Wartezeit für den überteuerten Preis des Fluges. Bangkok hatte sicherlich auch einiges zu bieten. Ein Drehbuch schreiben war vielleicht relativ einfach – man denke nur an Schnulzen-Schweiger – ein gutes Drehbuch zu schreiben erforderte hingegen einiges an Kreativität und Gehirnmasse. Ideen hatte ich viele, so unendlich viele. Bilder im Kopf, Gerüche in der Nase und verschiedene Geschmäcker auf der Zunge. Aber wie das alles zu einer einzigen, zusammenhängenden Story zusammenbringen?, schoss es mir durch den Kopf, während ich auf der Rückbank eines Taxis von dem Flughafen in die Innenstadt kutschiert wurde. Ich ließ mich zum nächstbesten Hotel fahren, checkte ein ohne vorher nach dem Preis für eine Übernachtung zu fragen (welch fataler Fehler!). Unliebsam knallte ich mein Gepäck in das Hotelzimmer mit den weißen Laken und den weißen Handtüchern und der Bibel in der Nachttischschublade. Ach ja, und natürlich mit einer gut aufgefüllten Minibar. Wie jedes andere Hotelzimmer. Keine weiteren Beschreibungen nötig. Ich setzte mich also an den Schreibtisch, nahm mir ein obligatorisches Bier um meine Kreativität anzukurbeln. Eine halbe Stunde später blickte ich noch immer auf ein leeres Blatt Papier, abgesehen von der Überschrift „Drehbuch-Entwurf“.
Mein Kopf schmerzte, es pochte in meinen Schläfen, es rauschte in meinen Ohren.
Die Lider so unendlich schwer. Ich öffnete sie, schloss sie wieder, um sie dann mit aller Kraft wieder zu öffnen. Eine weiße Decke über mir. Krankenhaus? Mühsam setzte ich mich auf, sah mich um. Ein weißes Bett, ein Schreibtisch, ein Kühlschrank. Keine Bibel in der Schublade des Nachtschränkchens, dafür ein Buddha auf dessen Ablagefläche. Unter der Bettdecke mein entblößter Körper. Ich stand auf, um ins Bad zu schlendern und mir Wasser ins Gesicht zu spritzen. Da sah ich sie. Eine kleine, zierliche Person mit ebenholzschwarzen Haaren und rotgeschminkten Lippen. Schneeflittchen. Ebenfalls nackt, nur zur Hälfte mit der weißen Hoteldecke bedeckt. Auf dem Boden Zigarettenstummeln. Wieder blickte ich auf die zierliche, puppenähnliche Gestalt in einem Meer aus weiß. Hilflos und verloren. Vorsichtig schlich ich zurück ins Bett und deckte diese mir völlig fremde Person sorgsam zu. Sie weckte in mir das Bedürfnis ihr zu helfen. Ich legte meinen Arm um sie. In diesem Moment wachte sie auf, sah mich mit schreckerfüllten haselnussbraunen Augen an und schrie. Schlug meinen Arm weg von ihrem Körper. Und schrie weiter. Schrie auf einer Sprache, die ich nicht verstehen konnte. Schrie sie um Hilfe? Befand sie sich nicht freiwillig in seinem Zimmer? Ich versuchte es mit Englisch, Französisch und Deutsch. Keine Chance. Dann mit Gesten.
Die Hände beruhigend nach unten schiebend. Ich lächelte sie mit meinem schönsten Drehbuchautorlächeln an, sie schrie weiter. Inzwischen hatte sie sich in die hinterste Ecke des Hotelzimmers gekauert, die Arme um den Körper geschlungen, den Schrecken noch immer im Gesicht und noch immer in der Kehle. Tränen liefen über ihr schneeweißes Gesicht. Dann verstummte der Schrei. Nur noch schluchzen. Der Kopf sackte in die Arme, und so saß sie dort. Wie ein Häufchen Elend. Ohne, dass ich ihr Zuspruch geben konnte. Natürlich fühlte ich mich schuldig. Und ihr noch so viel mehr verbunden als zuvor. Obwohl ich ja der Grund für ihre Gemütslage zu sein schien. Ich setzte mich auf das Bett, blickte sie weiter an. Versuchte ihren Blick einzufangen, dadurch ihr Vertrauen zu gewinnen. So saßen wir da. Zwei nackte, verlorene Seelen. Beide von Angst erfüllt. In ihr diese unbekannte Angst, die ich mir nicht erklären konnte. Und dann diese Angst in mir. Was hatte ich diesem scheuen, zerbrechlichen Wesen angetan, das sie solche Laute von sich gab?