Fortsetzungsroman, Seite 5

Theresa Müller erzählt weiter und hat es gewagt: neuer Ort, neues Geschlecht, neue Stimmung. Ganz neue Seiten erwarten euch in unserem Fortsetzungsroman!

von Theresa Müller

Das passiert mir nicht zum ersten Mal. Meine weiße Hautfarbe brandmarkt mich unter den Einheimischen als Tourist. Doch hier scheint es um mehr zu gehen als ein paar bettelnde Kinder, die mir wertlosen Plunder andrehen wollen. Der Blick des jungen Mädchens durchdringt mich. Ich schüttle die Hand des Jungen ab und verharre auf der Stelle. Die Sonne geht unter und ihre letzten Strahlen zaubern eine atemberaubende Kombination aus Orange und einem kräftigen Rosa an den Horizont. Es riecht nach altem Staub. Die Kinder beschleunigen ihre Schritte, sie reden wild aufeinander ein während sie auf einen blauen Pickup zusteuern. „Na toll.“, denke ich, „Wahrscheinlich ist die Ladefläche doch voller Ramsch.“ Plötzlich wird es dunkel. Spiralen, Nebel, wabernde Muster, die mich an die Mayas erinnern, oder waren es die Inkas?

Wieder umfängt mich Schwärze. Mein Hinterkopf schmerzt, doch es ist nicht nur das: Ich kenne die Wirkung von Rohypnol, kurz vor der Atemdepression. Zeit wird bedeutungslos. Ich versuche mich zu erinnern, doch bevor ich einen klaren Gedanken zu fassen bekomme, dämmere ich wieder weg.

Blutbad bei Streit um Hindutempel

Die gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Thailand und dem daran angrenzenden Kambodscha scheinen kein Ende zu nehmen. Bei stundenlangen Schusswechseln wurden elf Menschen getötet und mehr als 40 schwer verletzt. Zuletzt wurde Thailand der Einsatz von Giftgaswaffen im Kampf gegen Kambodscha vorgeworfen. Das thailändische Außenministerium bestreitet die Vorwürfe jedoch vehement. Tausende Bewohner rund um die Gefahrenzone mussten evakuiert werden.

Grund des bewaffneten Kampfes ist der Tempel Prasat Preah Vihear, ein hinduistischer Tempel der Khmer. Seit Jahrhunderten beanspruchen beide Länder das umgrenzende Dschungelgebiet des Tempels. Zuletzt sprach 1962 der Internationale Gerichtshof in Den Haag Kambodscha das Land zu. Thailand erkennt diese Entscheidung bis heute nicht an und kämpft verbittert weiter.

 

Die Artischocken köcheln im Topf vor sich hin. Sie legt die Zeitung zur Seite und dreht die Herdplatte runter. Wieder am Küchentisch sitzend, mit dem Rücken an die lilagestrichene Wand angelehnt und die Füße an den Stuhl gegenüber aufsetzend, zündet sie sich eine Selbstgedrehte an. Im Hintergrund läuft Muse. In einem Zustand absoluter Zufriedenheit beobachtet sie, wie sich der Rauch allmählich nach oben zur Decke bewegt. Sonnenstrahlen kitzeln ihre Zehen. Der April ist dieses Jahr außergewöhnlich warm.

Sie beißt auf die Artischockenblätter und zieht sie genüsslich durch die Zähne, um möglichst viel des guten Artischockenfleisches abzukriegen. Sie mag Artischocken, weil man lange an ihnen essen und sie umso länger genießen kann. Jedes Blatt erneut, bis ein Haufen an zernagten Blättern auf dem Teller liegt, nur das Herz bleibt. Noch ein schneller Kaffee, dann macht sie sich auf den Weg zur Arbeit. Tagsüber arbeitet sie als freie Journalistin, nachts als Barkeeperin. Ihre Artikel schafften es schon in große Tageszeitungen, doch für eine Festanstellung reichte es bisher nicht. Schon oft hat sie sich gewünscht vom Journalismus leben zu können, doch die zermürbende Zensur schreckt sie immer wieder aufs Neue ab, sich einem bestimmten industriellen Medium zuordnen zu wollen. Die ganze Wahrheit gibt es nicht und wird es wahrscheinlich nie geben, denkt sie sich, trotz des immer wiederkehrenden Verlangens nach ihr zu suchen. „Na wer steht hier so dekorativ beim Rauchen?“, tönt es von der Seite. Alex, ein guter Freund von ihr. In ihrer kurzen Konversation lädt er sie ein, nach Feierabend mit auf eine Party seines Kumpels zu kommen. Sie würde sich melden, antwortet sie und verschwindet hinter der grünen Tür.