Susann Vogel bricht im neunten Teil unseres Fortsetzungsromans gekonnt mit der prosaischen Form.
von Susann Vogel
AUFBLENDE
AUßEN – BALKON – MORGEN
MADELEINE sitzt auf dem Klappstuhl und blättert in einem Reiseprospekt. Ihre Freundin SINA tritt zu ihr auf den Balkon, in den Händen ein Tablett mit Kaffeekanne, Brötchenkorb, Wurst- und Käseaufschnitt, Lachsstreifen, zwei Piccolo. Sina stellt die Utensilien auf dem Tisch ab.
SINA
(schnippisch)
Da kann unsereins die Keyla nur beneiden, was?
Sina setzt sich Madeleine gegenüber.
Madeleine schaut zu Sina auf und tippt auf den Reiseprospekt.
MADELEINE
(trällernd)
Du musst ja nur mal in diese Knopfaugen von den kleinen Khmer-Kindern hier mit ihren Wuschelhaaren blicken! Die gucken so – ähm – so wie richtige Kinder – so dankbar! Dankbar, Sina! Ganz anders als wie der Julian zum Beispiel.
Sina gießt sich und Madeleine Kaffee in die Tassen und stellt den Piccolo daneben.
SINA
Milch, meine Liebe? Bio, halbfett, frisch aus dem Markt.
Sina füllt beide Kaffeetassen mit Milch auf.
Madeleine legt den Reiseprospekt beiseite und greift nach einem Brötchen.
SINA
(belehrend)
Mehrkorn, richtiges Roggenmehl, Dinkel, Amarant ist mit drauf.
Madeleine schneidet mit dem Messer das Brötchen auf.
MADLEINE
(mit Brötchen und Messer gestikulierend)
Den kennst du doch auch, den Julian. Von dieser, dieser – die macht was mit Theater oder so – aus dem dritten Stock, links. So Flausen im Kopf, der Kerl mit seinen bunten Haaren! Rauf und runter im Treppenflur! Packt die Briefkästen der ganzen Straße voll! Mit diesen Flugblättern. Der ist immer gegen alles! Wo er hier doch so viel hat!
Sina reicht Madeleine den Lachs und nimmt sich den Reiseprospekt.
SINA
Hat dich denn die Keyla schon angerufen?
MADELEINE
(abwinkend)
Dafür hat die Kleine dort gar keine Zeit! Das ist so ein fleißiges Mädchen, weißt du, immer die Arbeit an erster Stelle. Schaffen, schaffen, schaffen. Aber schön hat sie es da jetzt! Mit der ganzen Exotik und Abenteuer, den Tempeln zuhauf und der Wärme, den Elefanten – echte Elefanten – und Tiger – echte Tiger – und die Khmer-Kinder, so ehrliche Menschen da – und mit dem abwechslungsreichen Essen dort, so anders als wie bei uns. So anders, sage ich dir!
Madeleine ordnet die Lachsstreifen auf dem Brötchen an.
Sina nippt am Kaffee und fächert sich mit dem Reiseprospekt Luft zu.
SINA
(seufzend)
Hier ist es stickig!
Sina rutscht auf dem Klappstuhl hin und her.
SINA
Meine Liebe, ich muss mal ehrlich sagen, so wie deine Keyla da mit ihrem Schreiben für die Zeitung unterwegs ist, möchten andere wirklich mal Urlaub machen!
Madeleine nickt Sina betroffen zu und beide stoßen mit ihrem Piccolo an.
ABBLENDE