Droggelbecher? Droggelbecher!

Von Lisa Maria Pilhofer

Edna bricht aus. Sie muss mit Hilfe ihres kleinen, blauen Frottee-Hasen Harvey aus einer Irrenanstalt ausbrechen. Ihr Ziel ist es, die Ermordung ihres nervigen Nachbarjungen Alfred aufzuklären, für die ihr Vater die Todesstrafe bekam. Interessant hierbei ist, dass nur Edna Harvey verstehen und mit ihm reden kann, was mich irgendwie an den Film Mein Freund Harvey erinnert hat. Dort ist Harvey allerdings kein kleines Stofftier, das für alle sichtbar ist, sondern ein unsichtbarer Hase von 2 Metern, der nur vom gutmütigen Protagonisten Elwood P. Dowd gesehen werden und auch nur mit ihm kommunizieren kann. Daher versuchen auch alle Freunde und Verwandte, den armen Elwood P. Dowd in eine Irrenanstalt einzuliefern (was nicht ganz so funktioniert, wie geplant). Es ist eine liebenswerte Komödie, in der niemand ernsthaft zu Schaden kommt.
Edna bricht aus ist anders.


Obwohl die Figuren in diesem Point-and-Click-Adventure recht kindlich gezeichnet sind und es auf den ersten Blick eher an eine Art Lernspiel für Kinder erinnert, ist die Handlung doch ziemlich komplex und meiner Meinung nach sogar psychologisch unglaublich tiefgründig. Aber hauptsächlich ist es verdammt witzig! Edna sieht wirklich irgendwie wahnsinnig aus mit ihrem irren Blick, dem weißen Kittel (der hinten offen ist und ein lila Unterhöschen präsentiert) und mit dem Frottee-Harvey, den sie an den Ohren permanent fest umklammert hält und überallhin mitnimmt. Besonders schön bei diesem Spiel ist, dass Edna mit allem interagieren kann (d.h. auch mit Gegenständen, für die hauptsächlich Harvey mit verstellter Stimme antwortet) und eine herrliche Freude an Vandalismus zeigt. Dazu gehören unter anderem der Gebrauch eines Poloschlägers und das wahllose Beschmieren von Gegenständen mit Ketchup und Senf. Nicht jeder Zerstörungsakt hat Auswirkungen auf die Handlung oder ist zwingend nötig – gerade das macht es aber so unterhaltsam. Der Witz und die skurrile Handlung werden vor allem durch das Setting unterstützt: eine Irrenanstalt bietet zahlreiche Möglichkeiten für die Interaktion mit seltsamen Gestalten und natürlich das Führen noch seltsamer Dialoge. Edna trifft unter anderem den Mann im Bienenkostüm, den Alumann; Adrian, der König des Aufenthaltsraumes in seiner Burg aus Sofakissen, Droggelbecher, der nur „Droggelbecher“ sagen kann, und Hoti und Moti, die „siamesischen Zwillinge“.
Das Beste sind jedoch die Kommentare des Spielentwicklers Poki (Jan Müller-Michaelis), die man in jedem Screen aufrufen kann. Gerade für mich als absoluter Laie was jede Art von PC- oder Video-Spiele betrifft, waren die Kommentare nicht nur amüsant, sondern auch sehr aufschlussreich, was das Entwickeln von Spielen angeht (Edna bricht aus ist übrigens Pokis Diplomarbeit!). Ich spiele zwar liebend gerne Computerspiele und schaue auch gerne zu, wenn andere spielen, stelle mich aber meistens ziemlich dämlich dabei an, Rätsel im Spiel zu lösen oder überhaupt irgendwelche Fortschritte in der Handlung zu machen, ohne dafür jemanden zu fragen oder die Lösungen im Internet nachzuschlagen. Und ich habe keine Ahnung, wie viel Arbeit hinter so einem Spiel steckt! Poki erklärt nicht nur das, sondern gibt auch Lösungshilfen (und leider manchmal auch Spoiler, also aufpassen, wenn man den Kommentar anklickt) und plaudert aus dem Nähkästchen, woher die ganzen Ideen für Edna bricht aus so kamen, wer für was verantwortlich ist und stellt auch manche endgültigen Umsetzungen infrage. Allerdings gibt es diese Kommentare nur in der Spezial-Edition, die ab 12 freigegeben ist. Die Version ohne Kommentare ist ab 0 freigegeben, obwohl es im Spiel an (nicht-ernst-zu-nehmender) Gewalt nicht mangelt und Edna sogar einen Wasserhahn als phallisches Gebilde bezeichnet. Die höhergestufte Altersfreigabe hat Poki mit seinen Kommentaren erreicht („*Hust*… ficken…“).
Wenn ich mir die ganzen Diskussionen über Gewalt in Computerspielen anschaue, wie wichtig es allen anständigen Menschen ist, kleine Kinder nicht zu verderben und ja darauf zu achten, dass niemand nackig über den Bildschirm läuft und nirgendwo Blut zu sehen ist, bin ich doch etwas erstaunt, dass offenbar nur die Kommentare bei Edna bricht aus für eine Freigabe von 0 auf 12 gesorgt haben. Edna bricht aus ist keinesfalls ein gewaltverherrlichendes oder anzügliches Spiel! Es ist humorvoll, es nimmt sich selbst nicht so ernst, die Rätsel sind spannend und unterhaltsam – aber es hat auch eine moralisch düstere Komponente und stellt den Spieler vor Situationen, die doch irgendwie schwer zu schlucken sind. Und damit meiner Meinung nach für Kinder unter 12 eher nicht geeignet sind. Es ist schon seltsam, dass das Wort „ficken“ für Kinder offensichtlich schlimmer eingestuft wird, als das Quälen von Menschen in einer Irrenanstalt…