Jasmin Kathöfer bringt unsere namenlose Protagonistin auf die Spuren des verloren gegangenen Ich-Erzählers. Wir sind zurück in Kambodscha!
von Jasmin Kathöfer
Er meint es ernst. Er meint es wirklich ernst. Kambodscha. Und der Flug ginge schon übermorgen. Es wäre eine große Chance. Die Chance, endlich die Beachtung zu erfahren, die sie sich wünscht. Darum sagt sie zu. „Einen Reisepass hast du doch, oder?“ Er sieht sie an, sie nickt. „Das Visum bekommst du dann direkt am Flughafen in Phnom Penh. Ich kann nicht garantieren, dass du abgeholt wirst, aber ich versuch’, da was zu regeln.“ Er grinst. Sie nickt wieder.
Erst auf dem Weg nach Hause begreift sie, was eben passiert ist. Kambodscha. Auf unbestimmte Zeit. Ihren eigenen Teil vom Tempel bauen. Der, den sie eigentlich damit beauftragt hatten, der hat es so richtig versaut. Alex‘ Worte wiederholen sich als Dauerschleife in ihrem Kopf. Was da wohl passiert ist? Und was, wenn ich es auch versaue? Das Handy klingelt ihr die Gedanken aus dem Kopf. GEO ruft an. Sie freuen sich, Team Kambodscha freut sich, Alex freut sich, jeder freut sich. Nur sie freut sich nicht. Nicht wirklich zumindest. Einerseits weil es so plötzlich kommt. Andererseits weil sie das Gefühl hat, sie müsse die versalzene Suppe eines anderen auslöffeln.
Trotz des unguten Gefühls steht sie drei Tage später auf dem staubigen Parkplatz des Flughafen von Phnom Penh, mit dem Visum und einer Aufenthaltsgenehmigung in der Tasche und dem Rucksack auf dem Rücken. Es ist fast Mitternacht und der Platz wie leergefegt. Außer ihr sind nur noch Flugbegleiter und vereinzelte Angestellte dort. Ihre Mitreisenden haben sich Taxen und Tuk Tuks genommen und sind längst irgendwo zwischen Flughafen und Stadt. Sie wartet. Wir schicken jemanden, der Sie abholen und ins Hotel bringen wird. Der Ihnen am nächsten Tag alles grob zeigt und das Team vorstellt. Alles überhaupt kein Problem. Genervt lässt sie den Rucksack fallen und setzt sich auf den Bordstein.
Sie wartet fast eine Stunde, bis das Auto endlich auftaucht. Darin sitzt ein junger Mann, vielleicht sogar jünger als sie selbst.Er begrüßt sie, sich entschuldigend. „Du bist die neue Journalistin, oder? Ich bin Mike – Hi! Wow, sorry, bis ich aus der Stadt raus war, war ich schon fast zu spät. So ein Chaos… echt! Wie war der Flug?“
„Großartig.“ Müde versucht sie, sich ein Lächeln abzugewinnen. Es fällt ihr schwer nett zu sein, wenn sie eigentlich nur essen und schlafen möchte. „Sorry, ich bin echt fertig.“
„Ach, schon okay. Wir sind echt froh, dass du da bist.“ Er lässt den Motor an. Nachdem sie sich zu ihm nach vorne gesetzt hat, fährt er los. Aus dem Augenwinkel betrachtet sie ihn. Er wirkt angestrengt, aber auch fahrig. Die Art, wie er guckt, irritiert sie. Seine freundliche Art und die lockere Begrüßung kommen ihr jetzt gespielt vor. Wieder muss sie an ihren Vorgänger denken.
„Sag mal, diese Reportage, die ich schreiben soll… ähm… worum geht es dabei genau? Am Telefon hab ich nur sehr wenige Infos bekommen.“
„Das wird dir unser Teamleiter morgen erzählen. Ich bin nicht… Ich bin nur das Mädchen für alles.“
„Aber du kanntest ihn. Ich weiß nicht mal seinen Namen.“
Er nickt und starrt auf die Straße, doch sie lässt nicht locker.
„Ich hätte einfach gern mehr Informationen. Schließlich ist das seine Reportage, die ich da schreiben soll.“
„Wie gesagt, ich bin nicht… befugt. Er war seltsam und an irgendwas dran und jetzt ist er weg. Mehr weiß ich nicht, okay?“
Für den Moment gibt sie sich geschlagen. Weiter nachzuhaken würde nichts bringen, doch in ihrem Kopf überschlagen sich die Gedanken. Grübelnd starrt sie ins Leere, während der Wagen, vorbei an spärlich beleuchteten Häusern, durch die Nacht rast. Als sie die Innenstadt erreichen, verliert sich das Grollen des Motors im Lärm des Nachtlebens. Die Dunkelheit der Vorstadt weicht einer bizarren Kulisse aus mobilen Garküchen, Bars und Straßenhändlern, die Güter jeglicher Art und Weise anzubieten scheinen, alles getaucht in blau-violettes und grünes Neonlicht. Überall Menschen, Staub, Dampf, Dreck. Die Stadt lebt. Sie liegt auf der Lauer, wie ein wildes Tier. Vielleicht hätte sie ihrem mulmigen Gefühl vertrauen sollen. Jetzt ist es zu spät.