von Dinah Fischer
Endlich saß ich auf meinem Platz im Flieger: Nr. 48 A, mit Ausblick auf das unspektakuläre Rollfeld. Vor mir lag ein gut elfstündiger Flug zum Bangkok International Airport, wo wir zwischenlanden würden. Im Netz an der Rückenlehne vor mir ein Fächer zusammengewürfelter Zeitschriften, in meinem Kopf ein Strauß zusammengewürfelter Gedanken.
Beim Aufgeben meines Koffers am Flughafenschalter hatte ich ihm dabei zugeschaut, wie er auf dem sanft ruckelnden Förderband seine Reise in die bauchigen Tiefen des Fliegers antrat. Dabei hatte ich mich gefragt, ob ich ihn jemals wiedersehen würde und mich gleichzeitig für diese überproportionierte Besorgtheit belächelt. Falls er verschwand, würde ich nach ihm fahnden. Falls ich verschwand … Wer sollte nach mir fahnden? Mit diesem angenehm selbstmitleidigen Gedanken hatte ich es meinem Gepäck gleichgetan und mich an einem anderen Schalter selbst aufgegeben. Als das Flugzeug zum Start in den grauen Wolkenpark ansetzte, war die Sorge um den Koffer verblasst, die trüben Gedanken blieben. Um mich mit etwas anderem zu beschäftigen, suchte ich im Inneren des Passagierraums nach Ablenkung. Etwa fünf Sitzreihen vor mir hatte sich ein sanfter Eklat zwischen einem jungen Pärchen und einer nervös wirkenden Stewardess entsponnen. Ich konnte jedoch nicht verstehen, worum es ging und die Gemüter beruhigten sich rasch wieder. Abgesehen davon gab es nichts zu sehen. Kein Wunder, dass meine Drehbücher es bisher zu nichts gebracht hatten, mit einer solchen Inspiration. Mein Leben war kaum mehr als ein langweiliger Werbespot für Bio-Milch in Dauerschleife. Ich hatte einfach immer zu genau auf meine Schritte geachtet, um in irgendetwas hineinzustolpern. Doch damit war jetzt Schluss. Ich saß im Flieger nach Kambodscha (Kambodscha!) und jetzt ging es richtig los. Klappe, die Erste.
Doch leider hatte mich mein Drehbuchautor nicht in das beste aller Szenarien geschrieben. Sonst hätte neben mir eine interessante, lebenslustige junge Frau gesessen. So fängt es doch immer an, oder nicht? Stattdessen saß auf Platz 48 B ein zwar junges Mädchen, das jedoch vollkommen von seinen übergroßen Kopfhörern vereinnahmt war. Wenn ich nach vorn schaute, fing mein rechtes Ohr etwas von ihrer Musik ein, die aus missgelaunten Klavierakkorden und ein paar darüberschmelzenden Geigen bestand. Die musikalische Variante von Zartbitterschokolade. Ich hasste Zartbitterschokolade.
Ich sah aus dem Fenster, aber nicht lange. Noch nie hatte ich verstanden, warum klaustrophobisch veranlagte Leute im Flieger auf einem Fensterplatz bestehen. Erst dieses winzige Loch in der dicken Flugzeugwand macht einem doch richtig bewusst, wie eingeschränkt man eigentlich ist. Zügig wandte ich den Blick ab und verfolgte, wie die nervöse Stewardess mit ihrem Wägelchen auf meine Sitzreihe zusteuerte. Sie besaß nicht die Schönheit, die einen gleich auf den ersten Blick anspringt. Aber ich mochte es, wenn man sich ein bisschen anstrengen musste, um etwas hübsch zu finden, dann wurde es weniger schnell langweilig. Als sie mir mein plastikfolienverpacktes Putensandwich reichte und meinen Kunststoffbecher mit Cola light füllte, versuchte ich, das gewisse Etwas in ihrem Gesicht auszumachen. Doch bevor ich es richtig einfangen konnte, zog sie weiter, um andere Plastikbecher zu befüllen. Vor dem kleinen Fenster war es nun dunkel. Ich döste ein und schwankte noch einige Minuten zwischen träumerischen Gedanken und gedankenvollen Träumen, bis auch in meinem Kopf schläfrige Dunkelheit herrschte.
Als ich erwachte, waren wir im Landeanflug auf Bangkok, das beeindruckend und staubbedeckt unter uns dahinzog. Der Pilot ließ mir gerade genug Zeit, um richtig wach zu werden, da landeten wir auch schon unsanft auf dem Rollfeld des International Airport. Neuneinhalb Stunden Aufenthalt. Ich könnte mich in der sicheren Wartezone des Flughafens langweilen, oder ich könnte endlich damit beginnen, mein eigenes Drehbuch zu schreiben und Bangkok erkunden. Es war an der Zeit ein bisschen zu stolpern.