Die gute Seele hinter dem Steuer

von Jan-Hendrik Schulz

In den hintersten Ecken der Provinz, wo kein regulärer Linienverkehr existiert, springt der Bürgerbus ein- Ehrenmedaille der Stadt für soziales Engagement des Bürgerbusvereins – Bärbel Langemann ist die einzige Frau unter zehn Fahrern

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Plettenberg. „Hör bloß auf“, ruft Bärbel Langemann und schnellt mit dem Sitz nach hinten. „Ich nehm das.“ Bärbel Schröder wollte gerade ihre Einkaufstaschen nehmen und aussteigen, aber das Tragen übernimmt Langemann. Bärbel Langemann ist Bürgerbusfahrerin in Plettenberg, die einzige Frau am Steuer des Fahrzeugs.

„Ich hatte Zeit“, sagt sie beim Losfahren und gewährt einem Auto Vorfahrt. Die wollte sie sinnvoll nutzen und stieß auf den Bürgerbusverein. 2005 war das. Ehrenamtliche Fahrer sucht der Verein immer. „Das gefiel mir, genau so wollte ich mich engagieren. Außerdem fahre ich gerne Auto.“ Sie grinst.


Viel musste sie dafür nicht tun. Während der Bus die Straße zur Sundhelle hinauftuckert, erklärt Langemann, was man so braucht: Ärztliche Untersuchung, „dass man auch alle sieben Sinne beisammen hat“, Personenbeförderungsschein, kurze Schulung im Kreishaus und bei der MVG, der lokalen Verkehrsgesellschaft. Ein paar Mal fuhr sie bei erfahrenen Kollegen mit, dann setzte sie sich selbst ans Steuer.

Im Schnitt dreimal im Monat fährt Bärbel Langemann. Die reguläre Schicht dauert von halb neun bis zwei, vorher bringt sie Kinder im verstreuten Stadtteil Oester in den Kindergarten. Danach immer Routine: Von der Stadt in die entlegenen Wohngebiete, Bremcke, Sundhelle, Krankenhaus, Marler Weg, hin und zurück. Morgens nimmt sie von zuhause den Linienbus, holt den Bürgerbus in der Garage in Holthausen ab, bringt ihn nach ihrer Schicht wieder zurück. Dann fährt sie nach Hause, mit dem Linienbus.

Warum sie die einzige Frau ist, weiß Langemann auch nicht. „Vielleicht trauen die sich nicht“, vermutet sie. „Vielleicht haben die meisten Frauen andere Hobbys oder engagieren sich anderweitig. Fahrgast Bärbel Schröder sagt, dass früher eben nur die Männer einen Führerschein hatten, aber Bärbel Langemann ist auch einige Jahre jünger als Schröder. „Autofahren ist ja heute kein Geheimnis mehr.“

„Ich hatte jedenfalls Zeit und musste familiär nicht mehr einspringen“, sagt Langemann und wendet auf dem Dorfplatz der Ratschelle. Keine Fahrgäste. Dafür begleitet sie ihr kleiner Enkel, wenn er Ferien hat. „Anstatt Chinesisch zu lernen, mache ich eben was für die Allgemeinheit.“ Bärbel Langemann will nicht so viel darüber reden, sie findet es eigentlich ganz selbstverständlich – sie hat Zeit, also nutzt sie sie sinnvoll für andere, da muss man doch nicht viele Worte machen, wie das im Sauerland halt so ist. Dann sagt sie: „Es ist abwechslungsreich und macht Spaß, mit den Leuten umzugehen. Es ist hier persönlicher als im Linienbus, ich kann mit den Leuten reden und die Fahrgäste danken es einem. Das sind vorwiegend Rentner und froh, wenn sie auf diese Weise mobil bleiben.“

Eine Dame bringe ihr immer etwas vom Markt mit, eine Banane oder etwas vom Bäcker. „Viele lassen auch das Wechselgeld liegen.“ Am Busbahnhof in der Stadt steigt die Dame ein. „Hier hab ich was für se“, sagt sie und drückt Bärbel Langemann eine Tüte in die Hand.

Für einen älteren Herren dreht Langemann eine Extrarunde durchs Wohngebiet Bremcke, so muss er nicht so weit nach Hause laufen. „Machen ses jut“, sagt Langemann, als er aussteigt. Auch das gehört dazu: Die Bürgerbusfahrer warten ein paar Minuten, wenn jemand nicht so schnell zu Fuß ist oder nehmen eine etwas andere Strecke, wenn das den Leuten nach Hause hilft. „Wenn ich mal eine Haltestelle übersehe, dann rufen die Leute schon rechtzeitig“, sagt sie. Die beiden Damen im Fahrgastraum lachen. Ihnen sei das noch nicht passiert, sagen sie, die Fahrer sind zuverlässig.

„Sehr nett und hilfsbereit“, bestätigt Gerda Seuster. Sie fahre schon jahrelang mit dem Bürgerbus und viel Spaß habe sie dabei auch immer gehabt. Sie wohnt auf einem Berg und müsste zum Einkaufen in die Stadt zu Fuß gehen, denn hier fahren keine Linienbusse. „Viel zu eng und zu steil“, erklärt Bärbel Langemann. „Früher bin ich zu Fuß mit Kinderwagen und Tasche gelaufen“, erzählt Frau Seuster. Jetzt kann sie auch so mal in die Stadt, einen Kaffee trinken.

Die Bürgerbusse steuern entlegenere Gebiete an, „da wo der Linienbus nicht fährt“, sagt Langemann und schaltet den Scheibenwischer an. Die geografische Lage Plettenbergs mit vielen, teils recht entlegenen Wohngebieten in Bergen und Tälern macht den Bürgerbus gerade für ältere Menschen unentbehrlich, um mobil zu bleiben. „Da ist immer der Mann gefahren und wenn der dann weg ist, müssen die Frauen zusehen“, sagt die gelernte Fußpflegerin. Fahrkarten und Mitgliederbeiträge des Vereins reichen, um den laufenden Betrieb zu decken. Wenn größere Anschaffungen anstehen, ein neuer Bus zum Beispiel, gibt es Zuschüsse von Stadt und Land.

Durch die vielen Touren kennt Langemann sich bestens aus. Taxi könnte sie vielleicht fahren, so vom Wissen her. „Aber ich will nicht Taxi fahren, ich fahre Bürgerbus.“ Sie guckt etwas streng in den Rückspiegel. Dann lacht sie. Einen Unfall hatte sie noch nicht, „ich bremse lieber vorher. Man fährt mit so einem großen Wagen von vornherein defensiver.“ Auf dem steilen Teilstück am Marler Weg knallt die Kupplung. „Uppsa, falscher Gang“, sagt Langemann gelassen und schaltet runter. Sie lässt sich nicht aus der Ruhe bringen.

Mit 70 müssen die Bürgerbusfahrer aufhören, aus Sicherheitsgründen. „Dann hast du ja noch vier Jahre, Oma“, rechnet ihr Enkel vor. „Genau, noch vier Jahre“, sagt Bärbel Langemann. Sicherheit werde jedenfalls großgeschrieben. Die umgerüsteten Mercedes Sprinter haben eine ausfahrbare Trittstufe, mehr Haltegriffe und eine spezielle Sitzanordnung mit breitem Gang in der Mitte, damit die alten Leute bequem ihre Taschen verstauen können. Sie tritt kräftig auf die Bremse, ein Fußgänger hat das Fahrzeug übersehen „Oje“, sagt ein alter Mann auf dem Rücksitz. Gurtpflicht herrscht natürlich. Bevor nicht alle angeschnallt sind, fährt Bärbel Langemann nicht los. „Einmal war der Bus so voll, dass nicht alle einen Sitzplatz bekamen“, erzählt sie. „So ein netter Herr hat dann eine Frau auf den Schoß genommen.“ Bevor sie jemanden stehen lässt, hält sich Langemann lieber nicht so genau an die Regeln. „Aber das war wirklich die Ausnahme.“

Im Stadtzentrum warten bereits die Fahrgäste, als Bärbel Langemann vorfährt. „Frohes Neues“, sagt eine Frau beim Einsteigen. „Hab dich ja noch gar nicht gesehen dies Jahr.“