Kapitel 3
von Christian Bocksch
Sie saß kerzengerade im Bett. Den Blick starr nach vorne gerichtet. Vorsichtig, fast schon bedächtig, sog sie die Luft durch ihre Nase ein. Wegen der Abwesenheit von Traubenzuckerduft ließ sie enttäuscht die Schultern hängen. Mister Dextrose lag schon einmal nicht neben ihr, aber wer dann? Wollte sie das überhaupt wissen? Schließlich schaffte es ihre Neugier, die Schockstarre ihres Körpers zu durchbrechen. Langsam drehte sie den Kopf, und spürte ein schmerzvolles Pochen. Das müssen aber sehr, sehr viele Drinks gewesen sein, dachte sie. Es nützte alles nichts, sie musste jetzt Gewissheit haben.
Neben ihr lag ein Mann, den sie noch nie zuvor gesehen hatte. Jedenfalls glaubte sie das, aber angesichts der Tatsache, dass es in ihrem Gedächtnis gar keine Erinnerung an den letzten Abend gab, war sie sich nicht sicher. Seine dunklen Haare waren zu Dreadlocks geflochten, dass kantige Gesicht völlig entspannt. Ihr fiel sein sieben-Tage-Bart auf, den er scheinbar genau getrimmt hatte. Er lag weiterhin so ruhig da, sie hatte schon Angst er wäre in einem komatösen Zustand, als er plötzlich schnarchte und sich weg drehte. Noch nie zuvor, war sie über einen schnarchenden Geliebten so erleichtert.
So geräuschlos wie möglich, immerhin waren da noch ihre beträchtlichen Kopfschmerzen, stieg sie aus dem Bett. Das scharlachrote Kleid, von einem Start-Up Unternehmen ihrer Heimatstadt lag achtlos zerknüllt, neben einer Anzugweste und Hose. So betrunken war sie noch nie gewesen, dass sie ihre ansonsten sauber gefalteten Kleider zerknittert hätte. Aus der Tasche seiner Hose ragte ein Portmonee hervor, sollte sie? Die Neugier war stärker, als der Wunsch Strecke zwischen sich, und ihren One-Night-Stand zu bringen, und sie untersuchte es. Ein Studentenausweis kam zum Vorschein. Bevor sie weiteres herausfinden konnte, kam ein Stöhnen. ,,Mein Kopf…“ sagte der junge Mann, während sie aus dem Zimmer stürzte. Es musste mitten in der Nacht sein und es war sonst bestimmt niemand unterwegs. Zu ihrem Glück, wie sie wusste, denn eine junge Frau in Unterwäsche, die durch die Gänge rannte, würde vermutlich für viel Gesprächsstoff am nächsten Tag sorgen. Nach unsagbar langen Minuten in der eigenen Kabine angekommen, fiel sie auf ihr Bett, das sie sanft abfederte. Die Suche nach einer Aspirin, beförderte sie wieder in die Vertikale. Neben der Reiseapotheke stand der noch aufgeklappte Laptop, der letzte Blogeintrag auf dem Display.
Heute wird es Zeit, auch mal das kulturelle Angebot dieses Schiffes auszukosten. Ein junger Klavierspieler, von der Universität Wien, gibt im Konzertsaal eine Neuinterpretation von Vivaldi`s Vier-Jahreszeiten. Bestimmt wird auch Leonardo aus La Romana erscheinen. Ich werde mein Rotes Kleid tragen, und diesmal wird ihn Eros Pfeil treffen.
Darunter befand sich ein Foto, dass ihr das Herz stehen ließ. Es war der Mann neben dem sie aufgewacht war, mit dem Unterschied, dass er angezogen war und am Klavier spielte. Darunter der Name, Eon Reichenbach, wie in dem Ausweis. Aber trotzdem was war geschehen?
„Hören Sie, alles läuft nach Plan…… Ja darum habe ich mich gekümmert!“ Die Stimme kam aus der Kabine neben ihr, aus der des Rentners. Die ungewöhnliche Uhrzeit für ein Telefonat weckte ihr Interesse. „Nein natürlich nicht“ er lachte auf. „ Beide werden glauben, die Nacht zusammen, verbracht zu haben…. Hören Sie mal, ich mache das hier schon seit Jahrzehnten. Habe ich Sie in Beirut enttäuscht?…. Eben. Ich versichere, bei beiden gibt es absolut keine Erinnerung an den Verlauf des gestrigen Abends……. Ja, Wiederhören.“
Dann war Stille. Sie lag da, und schaute zur Decke. Was hatte dieses Telefonat zu bedeuten? War sie damit gemeint? Wenn sie jetzt an seiner Tür klopfen würde, da war sie sicher, wäre das vermutlich nicht die beste Idee. Also blieb sie einfach liegen, und ärgerte sich, dass ihre Schuhe noch in dem Zimmer des Klavierspielers lagen.