von Mohini-Ann Ramachandran
„- Hallo Mami. Kannst du mich hören? Natürlich kannst du mich hören. Ich weiß du kannst mich hören.Aber kannst du auch sehen was bei mir so abgeht? Ich weiß noch genau damals…“
(Switch: Violas Mutter im Bad. Die Türabgeschlossen, man hört sie kotzen. – Nach circa zwanzig Minuten kommt sie heraus – wischt sich den Mund trocken. – Als sie nach einigen Stunden im Schlafzimmer sitzt und sich im Spiegel betrachtet – ihr Mann,Violas Vater…)
„- Bist du schon wieder schwanger?“ „- Violas Mutter, Laura genannt, antwortete nicht auf die Frage ihres Mannes, sondern stand einfach nur da, mit gesenktem Kopf.
„- Das Fünfte jetzt schon verdammt.“„- Brüllteer.
„- Kannst du mir mal sagen, wie ich die Blagen alle ernähren soll?“
„- Was macht das schon? Du weißt doch, das was Gott zusammen geführt hat soll der Mensch nicht trennen.“„– Erwiderte sie und dem Gebot Gottes, wurde widerspruchslos Folge geleistet.
„- Und dann war es da. Neun Monate später war es da. Nummer fünf. Lulu…“
(Switch: Irgendwo in Tennessee. – Menschen haben sich versammelt. – Ein festlicher Anlass könnte man denken. – Ein Baum von dem Rauch ausgeht. – an ihm hängend, die verkohlte Leiche eines Mannes. Die Raben sind hungrig und warten bereits. – Billie Holidays vom Alkzerfressene Stimme beschreibt die Szene fast auf den Punkt genau.)
„- Sie haben ihn umgebracht. Sie haben ihn umgebracht.“ „- Kreischte und heulte die gute Laura, wohlwissend, dass ihre Tränen das Geschehene nicht ungeschehen machen konnten. Selbst dann nicht, wenn sie ihrem Mann oder dem lieben Gott, einen Fluss geweint hätte, so wie es Etta James den Leuten später einmal lehren sollte.
„-Der arme Mann. Dabei hat er nichts weiter getan, als, dass er so aussah, wie er aussah. Aber man soll ja immer das Positive im Leben sehen. Du warst ja da. Du warst noch da. Die Betonung liegt auf noch, denn nur einige Jahre später…“
(Switch: Violas Mutter Laura liegt im Sterben – was genau mit ihr los ist, weiß sie selbst leider auch nicht genau – Sie ist jedoch dazu in der Lage, uns die Symptome ihrer Krankheit zu schildern)
„- Da braucht man jetzt nicht drumrum reden. Ich meine der blutige Husten, das hohe, kaum sich senken lassende Fieber und der nächtliche Schweiß, lassen sich nun kaum mehr verbergen.Ich werde immer dünner, sodass kaum einer mehr glauben wird, dass ich einmal fünf gesunde Kinder zur Welt gebracht habe. Und mein zerkratztes, von Narben übersätes Gesicht lässt einen Mann kaum mehr glauben, dass ich einmal durchaus ansehnlich, ich möchte sagen, eine Schönheit war. Aber das muss man ganz nüchtern sehen. Hier in der Gegend, sterben die Leute in diesen Zeiten doch ohnehin hintereinander weg. Wer kommt und wer geht, es geht so schnell, dass man es kaum wirklich mitbekommt. Überhaupt tut man sich selbst einen Gefallen, wenn man das Ganze nicht so dramatisiert, denn im Idealfall sollte der Kopffrei von Scheiße bleiben, damit man weiterhin seinen Aufgaben gerecht werden kann…“
„-Und mit diesen Worten warst du fort. Fort aus unserem Leben. Ich rede im Allgemeinen nicht darüber, aber du kannst dir garantiert vorstellen wie es mich auffraß. Dieses Gefühl. Und jeder normale Mensch, kann sich sicher denken, auf wen du die von dir erwähnte Aufgabe übertragen hattest. Richtig: Auf mich. Es hat nicht immer nur Vorteile als erstes draußen zu sein.
Nun möchte ich mal ganz frech behaupten, dass ich mein Bestmögliches getan habe meine Aufgabe angemessen zu erledigen. Die Aufgabe, die du mir meiner Meinung nach, leider viel zu früh erteilt hattest, denn ich war ja selbst noch ein Kind…zumindest zur Hälfte. Entsprechend überforderte es mich oft…sehr oft…um ehrlich zu sein immer.
Es ist schon hart, wenn sich eines der Kinder nicht beruhigen lässt und das, während noch vier weitere kreischend um einen herumstehen. Eines auf dem Arm und ein weiteres am Bein hängend und alle wollen sie etwas. Manchmal, habe ich das Gefühl als klebten sie an mir, wie kleine Ödeme oder Geschwüre oder sowas.Die Frage, wie ich die Kiddies alle satt kriegen will ist überflüssig, denn ich stelle sie mir selbst oft genug.
Und immer dieses Geschrei…Das Geschrei der Kinder…Das Geschrei DEINER Kinder, welches jedes Mal durch ein Geschrei beantwortet wird. Mein Geschrei. Ein Akt der Verzweiflung? Ich weiß es nicht, aber es könnte durchaus so sein. Ich habe Angst, dass es nicht mehr lange nur bei dem Geschrei bleibt. Irgendwann so glaube ich, ballt sich eine Faust und schlägt zu. Ich fühle es. Wenn sich nicht bald etwas ändert, passiert hier noch ein Unglück Mutter.
Aus allen Ecken und Enden hört man meinen Namen. Viola, Viola, Viola. Viola dies, Viola das, Viola dies das tra-la-la.Mit anderen Worten, Mama, ichkann nicht mehr. Ich habe die Schnauze sowas von voll. Mein Schrei wandelt sich immer mehr zu einem Schrei nach Freiheit. Er stellt Anforderungen. Er äußert Bedürfnisse.
Ma, ich bin schwanger. Weißt du was das bedeutet? Meine Aufgaben verändern sich. Ich kann mich nicht mehr länger um DEINE Kinder kümmern. Denn wie die Bezeichnung schon zeigt, es sind DEINE Kinder. Ich aber habe nun bald ein eigenes kleines, hungriges Maul zu stopfen.
Ein Freund von mir, Louis der alte Stinksack,keine Angst er ist nicht der Vater meines Kindes…schön wärs. Ich habe nämlich keine Ahnung wo der Bastard ist. Kannst du mir sagen wo er ist? Sag mir wo der Bastard ist, dieser eierlose Hurensohn könnte sich hier ruhig mal nützlich machen.Auf jeden Fall kommt Louis bald um mich zu holen. Er hat eine Wohnung. Sie ist zwar nicht besonders groß, erfüllt dennoch ihren Zweck. Fressen, kacken, ficken, schlafen ist dort alles möglich. Ich kann für ein paar Monate bei ihmbleiben hat er gesagt.
Um einen Job habe ich mich auch schon gekümmert. Chicken Joe heißt der Typ bei dem ich arbeiten werde. Wie sein Name schon sagt, werde ich Hühnchen für ihn verkaufen. Erfahrung sammeln schadet ja bekanntlich nicht und die Kohle kann ich wie du siehst auch ganz gut gebrauchen. Und wenn alles klappt, werde danach nach Memphis gehen, um mein eigenes Geschäft zu eröffnen. Krieg jetzt aber keinen Schreck wegen deiner Kiddies, denn für die sei gesorgt. Eine Dame von der Fürsorge wird bald kommen, die werden ja wie man weiß dafür bezahlt, dass sie ihre Nasen in anderer Leutes Angelegenheiten stecken.
Ich weiß manch eine Supermensch alla Fürsorgetante wird meine Entscheidung nicht gerade für angemessen halten. Du egoistische Kuh bla, bla. Denk an deine Familie bla, bla. Deine arme Mutter bla, bla.Aber man muss im Leben eben Prioritäten setzen und kann es nicht jedem recht machen. Deshalb sage ich dir, was ich von nun an jedem, der mich kritisiert, entgegnen werde: Ich habe Pflichten, Pflichten gegenüber mir selbst und ich muss selbst herausfinden, was für mich richtig und was falsch ist. (Louis aus Spanishtown ist da. Er steht hinter Viola Schmidt am Grab ihrer Mutter) Guck mal das ist der Louis. Mach´s gut Muttchen…Ich bin weg
(Switch: Louis aus Spanishtown in seiner kleinen aber feinen Wohnung. – Er hat Wasser für Tee aufgesetzt.– Sinn des Ganzen ist es den Tag aus klingen zu lassen und nebenbei darüber zu reflektieren.)
„- Ist n nettes Mäuschen keine Frage. Aber an manchen Tagen, verhält sie sich etwas komisch, da braucht man jetzt nichts zu beschönigen. Manchmal sitzt sienachts in der Küche, besäuft sich und weint leise vor sich hin. Man weiß nur leider nicht warum, denn wenn ich sie darauf anspreche sagt sie nur: „- Ach was. Straßenhunde onanieren nicht. Sie stehen wieder auf, ziehen die Rotze hoch und kämpfen weiter.“ „- Eine gar nicht so üble Einstellung finde ich.Zumindest dann, wenn man nicht nach dem erstbesten Tritt in die Fresse am Boden liegen bleiben möchte, während das Leben an einem vorbeizieht. Aber gut, was weiß ich schon, ich bin doch nur der Louis. An anderen Tagen steht sie gefühlt stundenlang vorm Spiegel im Bad und schminkt sich. Und bevor sie damit anfängt, betrachtet sie sich gefühlt jahrelang darin. Und jedes Mal, wenn sie sich darin betrachtet und ich zufällig in der Nähe rumspringe, fragt sie mich, ob sie hässlich sei. Und mit jedem Mal antworte ich auf ein und dieselbe Frage mit ein und derselben Antwort: „- Du bist schön genug. Du machst das schon richtig, Den Fehler, den du suchst, den gibt´s nicht.“.
„- Ja die Schminke, die Schminke. Was sie eigentlich tun soll, ist es von mir abzulenken. Das gilt sowohl für mein Äußeres, als auch für mein Inneres. Man soll vor die Fassade blicken, statt auf das zu achten, was aus mir herauskommt und in mein hübsches Gesicht sehen, während der Restdadurch überstrahlt wird. Mein viel zu überschminktes, aber doch ansehnliches Gesicht: Eine Maske, um mein wahres Ich hinter sich zu verbergen. Ich hab es mit der Selbstliebe nämlich nicht so.Der kleine Louis fragt mich des Öfteren vor dem Spiegel: „- Magst du dich?“ „- Woraufhin ich antworte: „- Das hat mir niemand beigebracht.“Denn es erscheint mir, als sei Glücklichsein doch nicht das oberste Ziel im Leben, wie die Leute immer sagen. Viel mehr erscheint es mir, als sei es viel, viel wichtiger, das im Auge zu behalten, was andere Menschen von einem erwarten, sodass unmittelbar auf jede Aktion eine Reaktion folgen kann. Als sei es viel wichtiger, dass der Körper funktioniert, völlig unabhängig davon, wie man sich dabei fühlt, wie ein Motor, der stets zu laufen hat. Und trotzdem habe ich immer noch Hoffnung darauf, dass mich dieser alltägliche Boxkampf irgendwann zu einem höheren Ziel führt. Er wird michdefinitiv nicht in ein Land führen, in dem Milch und Honig fließen. Das ist mir klar und ob es das ist. Aber vielleicht besteht doch noch die Möglichkeit auf einen etwas besseren Ausgang dieses Dramas…Aber was rede ich da überhaupt für eine Scheiße? Ich klinge schon fast wie Sam Cooke.
(Switch: Einige Jahre später:Viola Schmidt wohnt nun nicht mehr mit Louis aus Spanishtown zusammen. – Sie teilten sich das Klo, die Küche und an festlichen Anlässen auch das Bett. – Aber auch die besten Dinge haben ja bekanntlich irgendwann ein Ende, so schade das auch ist.– 7.30 Uhr: Viola Schmidt ist fertig geschminkt und vollständig gesellschaftsfähig.– Ihre Tochter Laura muss in die Schule. – Und was macht die kleine Vy mit dem restlichen Tag? – Sie macht sich auf, um sich eine Bude anzugucken, die neben Frankie und dem kleinen Valentin, die schon seit vielen Jahren davor kampieren, auch jede Menge Potenzial für ein kleines Lokal in sich trägt. – Sie geht aus dem Haus und denkt sich:
„- Hallo ihr Penisgesichter.“