von Björn Vorspohl
Das rhythmische Klappern der Gepäckstücke auf dem Rücksitz wurde noch ein wenig lauter als der Kleinwagen auf den Rastplatz am Rande der A4 abbog und über die schlechte, mit Schlaglöchern übersäte Ausfahrt holperte. Der Fahrer, ein junger Mann von etwa 20 Jahren, wirkte genervt. Seine Haare standen in alle Himmelsrichtungen ab und unter seinen Augen machten sich dunkle Ringe bemerkbar. Mit einem Gähnen lenkte er den Wagen in eine freie Parkbucht und zog den Schlüssel aus dem Zündschloss. Er fuhr sich mit den Fingern durch die Haare und schloss für einen kurzen Moment die Augen.
Nachdem er ausgestiegen war und die Tür mit einem lauten Knall hinter sich zugeschlagen hatte, steuerte er zielstrebig auf das bunte, blinkende und überhaupt grässliche Gebäude zu, dass am Rande des Parkplatzes hockte und mit Kaffee und allerlei anderem gesunden und das in der Mehrzahl, ungesunden, Lebensmitteln lockte.
Mit gesenktem Kopf ging der junge Mann seinen Weg. Er versuchte die Menschen um sich herum nicht wahrzunehmen. Die anderen, die, die einfach da waren. Der Lastwagenfahrer, vermutlich Manni, die Großfamilie mit den schreienden Kindern, das verliebte Pärchen, das auf einer der Bänke zischen einem langsam eingehenden Baum und einer Mülltonne saß und sich verliebte Blicke zuwarf.
Widerlich, wie er befand als er die Tür erreicht hatte. Eine Drehtür! Es wurde nicht besser. Die Großfamilie hatte die Tür vor ihm erreicht. Sein Vormarsch geriet ins Stocken als die Kinder ihre fünfte Runde in dem Glaskarussell drehten und laut lachten. Ja, Kinder liebten Drehtüren. Konnte man nicht wahnsinnig viel Spaß damit haben? Nein, konnte man nicht. Man musste hindurch, koste es was es wolle. Keine Rücksicht auf Verluste! Und nicht jeder bewältigte die Drehtür auf die gleiche Art und Weise. Nein, das wäre ja viel zu einfach für den Menschen und schlichtweg eine Beleidigung seiner Individualität. An einer Drehtür erkennt man das wahre Wesen einer Person, seinen Charakter, das tiefste Innere. Da gäbe es zum einen den Verspielten, wie die Kinder, die noch immer wild rotierten, aber auch den Zauderer. Er steht einfach nur da und betrachtet die sich wild drehenden Flügel der Tür, ängstlich wartet er auf den Moment, da es ungefährlich ist, den Fuß hinein zu setzen. Da dieser Moment jedoch nicht kommt solange sich noch andere Menschen in der Nähe der Tür aufhalten, bildet sich hinter ihm ganz allmählich eine Schlange. Und wer in einer Schlange steht, der muss warten. Da das jedoch nichts für jedermann ist, macht sich hier der dritte Drehtürtypus bemerkbar: Der Drängler hat den Schritt vom Steinzeitmenschen zum modernen Bewohner dieser Welt noch nicht zur Gänze vollendet. Hinter der Drehtür, da liegt sein Ziel und jedes Mittel scheint ihm recht um es zu erreichen. Mit Schwung tritt er in den Durchgang und schiebt die Tür. Am liebsten dem langsamen Vordermann in die Hacken. Aus dem Weg! Hier komme ich!
Doch weder Zauderer noch Drängler waren im Moment zu sehen. Nur die fünf Blagen die noch immer ihren Spaß mit der Tür hatten.
Der Fahrer seufzte und versuchte sein Glück. Fast schon kam er sich wie der Zauderer vor. Langsam schob er einen Fuß nach vorne, zog ihn aber hastig wieder zurück, als die rotierenden Kinder noch einen Zahn zulegten.
Doch so langsam hatte er die Nase voll und wurde spontan zum Drängler, trat mit Schwung in die Tür und rauschte hindurch. Hinter ihm begann ein infernalisches Geheul. Ihm war es gleich. Auch die panische Mutter, die an ihm vorbeihastete um nach den Kindern in der Drehtür zu sehen beachtete er nicht. Sein gestresstes Gehirn hatte den Plan gefasst, Koffein zugeführt zu bekommen und der Kaffeegeruch, der hier in der Luft lag, beflügelte dieses Verlangen. Schon sah er sich dem nächstbesten Kaffeetrinker an die Gurgel gehen, ihm den Kaffeebecher entreißen um in Siegerpose über dem erschlafften Körper stehend das köstliche Getränk zu genießen. Aber nein, es waren ja Kinder anwesend. Ruhig und gesittet mach er sich also auf zur Kasse. Prompt viel sein Blick dabei aufs Zeitschriftenregal. Ein paar Minuten lang starrte er auf die quietschbunten Cover. Angestrengt lenkte er seinen Blick nach unten. Weg von den halbnackten oder auch völlig unbekleideten Frauen auf Augenhöhe. Das war dann wohl doch eher was für Manni draußen auf dem Parkplatz. Spontan griff er nach der Auto Motor Sport. Waum? Wer mochte es wissen, interessierten ihn Autos doch in etwa so sehr wie einen Berufsalkoholiker ein Virgin Colada. Aber was solls. Immerhin kein Schmuddelheft. Und irgendetwas musste man doch kaufen. Und außerdem hatte er so etwas für die Toilette. Auf dem Weg zu Kasse schlichen sich dann neben dem geplanten Kaffee und der spontanen Zeitschrift noch ein Schokoriegel, diverse Kaugummis und ein Energiedrink in seine Arme. Verdammte Konsumgesellschaft, dachte er noch als er alles zusammen der Kassiererin vor die Nase knallte und schon einmal sein Portmonee herausholte.
„Darfs sonst noch was sein?“ fistelte die junge Dame und starrte ihn mit freundlicher Langeweile an. Schon lag ihm ein dummer Spruch auf der Zunge, aber er schluckte ihn herunter.
„Nein Danke!“ heuchelte er stattdessen freundlich und bezahlte die von ihm verlangte Summe.
Nach einer ebenfalls geheuchelten, freundlichen Verabschiedung drehte er sich herum und steuerte erneut die Drehtür des Grauens an. Die Großfamilie saß nun am Tisch daneben und als einer der kleinen Jungs mit dem Finger auf ihn zeigte beschleunigte der Fahrer seinen Gang und entfernte sich eilig.
Auf dem Weg zum Auto stürzte er den Kaffee herunter und verbrannte sich nur leicht die Zunge. Das Pärchen saß noch immer auf der Bank und war noch immer damit beschäftigt abstoßend zu sein.
Als er vorbeiging blickte die junge Frau auf und musterte ihn mit einem angewiderten Blick von oben bis unten. Erneut lag ihm ein Kommentar auf der Zunge und wieder schluckte er ihn hinunter.
Im Auto angekommen schaltete er das Radio ein und ließ sich in den Sitz sinken. Endlich wieder allein.
Mit einem Zischen öffnete er die Dose und beobachtete den vorbeifahrenden Verkehr. So mochte er die Menschen. Schnell näherkommend und ganz schnell wieder verschwindend. Im Auto musste er sich keine Kommentare verkneifen. Hier konnte er immer aussprechen was er dachte und tat niemandem weh, nichts konnte jemanden beleidigen. Es hörte ihn ja niemand.