Fortsetzungsroman, Seite 14a

von Alex Mosig

Plötzlich überkam mich ein flaues Gefühl. Etwas stimmte nicht. Etwas fehlte. Das in die Menschen gesetzte Vertrauen war ein Fehler gewesen. Eine Dummheit. Mein Rucksack verschwunden. Komisch eigentlich, denn ich hatte doch nichts in ihm was von Wert gewesen wäre. Welcher Idiot klaute schon einen leeren Ranzen? Da überkam mich die Klarheit. Ich brauchte nicht mehr für die Reise, außer den Dingen, die ich am Körper trug. Meine Kleidung und meine Geldbörse. Dazu die Fahrkarte, ohne die man mich ohne Umschweife aus der Bahn schmeißen würde. Innerlich davon überzeugt, dass die Zukunft besseres für mich bereithalten würde als die Vergangenheit. Befreit vom Überfluss. Nun in der Lage glücklichere Gedanken zu erlauben, als die Missgunst mit der ich mir selbst und anderen entgegen getreten war. Mit dem neu gefassten Mut war gleichzeitig klar, dass ich auch vom Buch der Anne Frank Abschied nehmen musste. Zu düster waren die damit verbundenen Gedanken. Ich stand auf und ließ es am Platz zurück. Der Platz als letzte Instanz der Vergangenheit, nun von mir verlassen.

Ich begab mich auf eine Erkundungstour durch die Waggons der Bahn. Voll war es geworden, einzelne Unglückliche drängelnd und missmutig drein schauend. Die Bahn bot wie immer zu wenig Sitze für alle Reisenden. Ich hingegen wollte nicht mehr still sitzen. Ich wollte leben, den Moment genießen, Einzigartiges tun. Doch zu aller erst musste das flaue Gefühl in meinem Magen überwunden werden. Dieser stellte sich nämlich bisher gegen meinen gefassten Wandel. Lag wohl daran, dass ich bisher nur die eine Tasse Kaffee zu mir genommen hatte. Also ging ich Richtung Speisewagen. Dort gab es zu den üblichen Preisen ein Sandwich. Garniert mit einem Hauch Butter auf dem eine halbe Scheibe Salami und Käse Platz nahmen. Ummantelt von zwei labbrigen Scheiben Toast. Schmackhaft.

Weiter ging es durch die Wagen. Allerlei schräge Gestalten beäugten mich neugierig. Das spürte ich und es war natürlich kein Wunder, denn die Hose saß mir immer noch passgenau am Gesäß. Es gefiel mir, Aufmerksamkeit zu erregen, Blicke zu kanalisieren und die Leute dann hängen zu lassen. Alleine weiter zu gehen. Stopp! Ich muss glücklichere Gedanken zulassen! Aufmerksamkeit stimmte mich zwar nicht unglücklich, aber alleine im Leben Weiterzumachen, war wohl nicht die beste Methode, um meinen erwünschten Wandel zu vollziehen.

Geschwind drehte ich mich um und erwischte einen Mitvierziger dabei wie er schnell versuchte den Kopf zu neigen und seinen Blick zu verstecken. Ertappt! Der Mann saß alleine und hatte neben sich einen freien Platz. Ich ging auf ihn zu und sprach ihn gerade heraus an: „Der Platz hier noch frei?“ Verdutzt schaute er auf. Sein Gesicht inzwischen rot gefärbt, von dem peinlichen Gefühl, dass ihn unweigerlich überkommen hatte. Er nickte und ich setzte mich.

Der Mann fein gekleidet und einen angenehmen Geruch verströmend. Wohl jemand der sich Teures leisten konnte. Gerade als ich ihn ansprechen wollte, wurden wir von einem Ruf unterbrochen.
„Fahrkarten bitte!“ Kein Problem, denn die hatte ich ja noch bei mir. Da überkam mich eben das, was ich gerade noch bei dem Fremden wahrgenommen hatte. Unwohlsein. Die Menschen dieses Abteils waren deutlich feiner gekleidet als im Rest des Zuges. Eine Sitzreihe fehlte, wodurch deutlich mehr Platz für die einzelnen Zugreisenden blieb. Ohne es zu bemerken, war ich in der ersten Klasse gelandet. Schöne Scheiße, die ich mir da eingebrockt habe. Das war nicht das erhoffte Glück, das ich zulassen wollte. Flehentlich starrte ich den Mann neben mir an. Vielleicht war es ihm irgendwie möglich mich aus dieser Misere zu befreien. Sonst würde die Fahrt dann doch mit dem Rausschmiss am nächsten Bahnhof enden.