Michael Fassel schreibt eine weitere packende Seite unseres Fortstzungsromans!
von Michael Fassel
Sie würgt, kramt schnell nach einem Taschentuch in ihrem Rucksack und presst es sich auf ihre trockenen Lippen. Das Letzte, was sie gegessen hatte, waren gesalzene Erdnüsse.
„Ich halt‘ ja schon an“, sagt Mike genervt.
„Danke!“ Sie wischt sich mit dem Handrücken kalten Schweiß von ihrer Stirn. Mike stoppt den Wagen an einer Straßenecke, wo das Schild einer Nachtbar hellblau flackert. Wolken aus Nikotin- und Opiumduft wabern durch die offen stehenden Fenster.
Keyla steigt aus, sucht Halt an der Beifahrertür. Alles erscheint ihr hier so wirr, die Neonlichter, die Verkehrsgeräusche, die drückende Luft, die sie nicht atmen lässt. Sie wirft ihr Taschentuch auf den Boden. Mike stellt sich mit einer Packung Mentos neben sie, bietet ihr aber keines an, sondern legt eines genüsslich auf seine Zunge. Zwischen seinen Zähnen beginnt es zu knacken. Trotz des turbulenten Nachtlebens um sie herum, kann sie jeden Biss hören.
„Kannst du das bitte sein lassen?“ Ihre Stimme krächzt, jeder einzelne Laut brennt in ihrem Rachen.
Mike starrt mit schief gelegtem Kopf gedankenverloren auf das flackernde Schild, auf dem eine verblasste Schrift den Namen des Clubs nicht verrät. „Das flimmert schon wochenlang. Ich warte auf den Moment, an dem es endlich seinen Geist aufgibt. Faszinierend, oder? Ich denke immer, wenn das mal kaputt geht, dann passiert etwas.“
„Aha …“ Sie starrt sein schlecht rasiertes Gesicht von der Seite an. Ihre Übelkeit ist verflogen, aber sie fühlt sich nicht imstande, ihm weitere Fragen zu ihrer Reportage zu stellen. Sie holt eine Flasche Pikkolo aus ihrem Rucksack, ein Getränk, das sie auf jede Reise mitnimmt. Die Kohlensäure ist raus, der Sekt ist nur noch eine lauwarme, nach alten Trauben schmeckende Brühe. Sie verzieht ihr Gesicht. Ihr Hals schmerzt, als hätte sie Stacheldraht geschluckt. Nur nicht krank werden, nicht hier. Sie hofft, dass sie sich unter der Lüftung im Flugzeug bloß eine harmlose Erkältung zugezogen hat.
Ein ausgemergelter Hund mit ausgefranstem Fell kommt plötzlich aus der Bar gelaufen. Sie wendet den Blick von dem Tier ab, das sie mehr an eine Hyäne als an ein Haustier erinnert. Zwischen seinen Zähnen befindet sich etwas Rotes, vielleicht ein Stück Fleisch. Sie mag nicht wahrhaben, dass in seiner Schnauze ein menschlicher Finger hängt und wendet den Blick zu Mike, konzentriert sich auf seine Augen, die in das flimmernde Licht schauen und im Sekundentakt ihre Farbe wechseln.
„Können wir weiter?“, fragt sie.
„Ja, können wir“, antwortet er in einem ruhigen Ton, ohne das Licht aus den Augen zu lassen.
Sie lässt sich auf den Beifahrersitz fallen, nachdem sie den restlichen Pikkolo auf der Straße ausgekippt hat. Noch einmal schaut sie zu dem Hund, der immer noch den Finger festhält, als wäre es ein lieb gewonnenes Spielzeug.
Ich versuche, mich zu bewegen, meine Glieder spüre ich nicht mehr, kann aber meinen Kopf zur Seite drehen und meine Lippen und Augen öffnen. Ich sehe nur ein erdrückendes Schwarz und versuche angestrengt, Umrisse zu erkennen. Immerhin merke ich, dass ich auf dem Rücken liege, sollte mich mein Orientierungssinn nicht völlig verlassen haben. Schritte, langsame Schritte nähern sich, werden immer lauter. Schuhsohlen knallen in regelmäßigen Abständen auf harte Fliesen. Einen Laut bringe ich nicht zustande, so sehr ich mich auch bemühe. Ich zucke zusammen, als ein warmes Etwas meine Wange streift, meine Lippen nachzeichnet und schließlich meinen Hals umklammert.