Herz berührt

von Philipp Meyer

„Was für ein netter junger Mann“, hatten ihre Eltern gesagt.
„Du bist so rücksichtsvoll, so lieb. Ich will mit dir“, hatte sie gesagt.

Das war vor zwei Wochen.
Gestern fragte sie mich, was mit mir kaputt ist und was man eigentlich tun muss, um so ein Arschloch zu werden wie ich.

Sie sagte auch, ich wäre ein Frauenjäger. Aber das stimmt nicht, sie hat absolut nichts von mir verstanden. Ich bin kein Jäger, ich bin ein Spaziergänger.
Und ich bin es, der gejagt wird. Dann rennen sie mir hinterher, werfen mir ihre Herzen vor die Füße und wollen mich damit zum Stolpern bringen. Keine Chance.Vor zwei Wochen war es Tina. Wie die Nächste heißt, weiß ich noch nicht, aber ich habe natürlich schon so eine Vermutung. Kristin malt gerne, geht zweimal in der Woche zum Yoga, hat zwei längere Beziehungen hinter sich und – das ist das Besondere – trotz des Dramas und der Verletzungen bei der letzten Trennung hat sie sich eine kindliche Naivität bewahrt. Das ist wirklich bewundernswert. Sie ist eine Frau, die ihr Herz immer wieder in die alte Form bringen kann. Vorbehaltlos nach vorne geht und andere Menschen „wahrhaftig“ kennenlernen will. Allzu oft glaubt man ja, wenn man in fremden Teichen fischt, dass es da wie im eigenen zugeht. Aber Kristin ist nicht so doof, genauso wenig wie ich.
Ich weiß nicht genau, warum es jetzt von Kristin das Herz ist, das so eine unglaubliche Faszination auf mich ausübt. Es ist so schön und kräftig, mit einer komplexen Oberfläche. Vernarbt wie ein Piratenarm und elastisch wie ein Kinderkopf. Es geht immer wieder zurück in die Form, wenn man es nicht zerquetscht oder bricht. Ich werde vorsichtig sein müssen, wenn ich es untersuche. Ich habe ihr schon durch Zuneigung den Brustkorb aufgeschnitten, wie ein Chirurg, und immer wenn sie bei mir ist, dann kann ich ihr Herz sehen. Da liegt es dann, schutzlos eingebettet, wie ein Ei ohne Schale in einem Nest.Immer wenn ich ein Herz untersuche, dann geht mir eine Spannung durch den Körper, dass mir manchmal die Hand dabei zittert, wenn ich mit meinem Zeigefinger über die blutfeuchte Oberfläche streiche. Von den Stellen, die glatt sind wie ein geölter Babypopo, über die raueren Narben. Bleibe dann an der Aorta und drücke sie kurz ab. Nur ganz kurz, um zu sehen, wie ihr Herz auf die Veränderung reagiert. Manche kommen dabei kaum aus dem Rhythmus. Die kleinen, weichen dagegen reagieren manchmal mit kurzen Aussetzern, als hätten sie keinen Überlebenswillen.
Ich will es aber nicht stören und die meisten Herzen reagieren ohnehin ein bisschen empfindlich auf Berührungen. Vor allem bei den Narben ist es schwierig – aber auch am spannendsten. So viel Geschichte in jeder Narbe, und mit jeder Narbe hat sich das Herz ein bisschen verändert, meistens verhärtet, manchmal ist es dadurch auch ein bisschen größer geworden.
Wenn ich dann genug gesehen und verstanden habe, dann lege ich es aus der Hand und schließe den Brustkorb. Das ist der schwierigste Teil und ich hoffe, dass es dabei nicht kaputtgeht. Aber ich habe gemerkt, dass jedes Herz, wenn es sich erst an die Berührungen gewöhnt hat, beim Verschließen des Brustkorbs ein bisschen aus dem Rhythmus gerät. Wie das von Tina, als sie mich fragte, was mit mir kaputt ist, und sagte, dass ich ein Arschloch bin. Aber das stimmt ja nicht, ich bin eher wie ein Herzchirurg in der Ausbildung. Ich lerne noch und wenn ich dann ganz viel davon verstehe, dann wird auch keiner mehr danach fragen, woher ich das alles kann. Wo gehobelt wird, da fallen Späne, Kristin. Ich freue mich auf dich.