Das Pendeln ist der Alltag vieler Studenten. Verspätete Züge, überfüllte Bahnsteige und Lokführer, die es auch eilig haben. Eine Glosse von Michael Fassel.
Wenn ich am Kölner Hauptbahnhof lese, dass meine Bahn zehn Minuten Verspätung hat, freue ich mich. Nein, nicht weil ich das gut finde, sondern weil es nur zehn Minuten sind. Ich trödle noch fünf Minuten in der Bahnhofsbuchhandlung herum, aber es ist einfach zu heiß darin. Ich gehe auf den Bahnsteig. Auf dem Weg dorthin strömen mir Massen von Menschen entgegen, die plötzlich mitten im Weg stehen bleiben, weil ihr Handy klingelt. Ich bin also gezwungen, für andere mitzudenken und wie beim Autofahren blitzschnell zu reagieren, weil ich im Zick-Zack-Slalom ausweichen muss.
Anzugträger mit ihren Laptop-Taschen schauen am Bahnsteig auf die Uhr und ihre Mienen hellen sich auch nicht auf, als der Zug endlich einfährt. Und wie immer stellen sich die Wartenden direkt vor die Türen, lassen für die aussteigenden Reisenden nur einen kleinen Spalt. Dann stürzen sie sich auf die Sitze, eine ältere Dame nimmt mit ihren Einkäufen gleich eine Viererbank ein: für jede Tüte einen Platz. Sie rückt ihre dunkelbraune Perücke zurecht. Obwohl der Zug sich füllt, muss ein junger Fahrgast mit einem Rollkoffer die Dame erst fragen, ob sie etwas Platz machen könnte. Schwer atmend setzt er sich hin und schält eine Mandarine. Mir fällt es nicht leicht, wegzuschauen, als der Saft über seine Jeans tropft und er dabei lautstark schmatzt.
Die Türen schließen. Endlich! Die Türen öffnen sich wieder. Verdammt! Und das Ganze noch zwei Mal. Da erklingt eine gut gelaunte Männerstimme aus dem Lautsprecher: „Verehrte Fahrgäste! Leider gibt es zur Zeit ein technisches Problem mit den Türen, das wir beheben müssen. Deshalb wird sich unsere Fahrt um wenige Minuten verzögern! Wir danken für …” Die letzten genuschelten Worte gehen in der schlechten Tonqualität unter. Zwanzig Minuten Verspätung. Endlich nimmt der Zug Fahrt auf und die sympathische Stimme meldet sich wieder: „Ihnen ist sicher schon aufgefallen, dass wir fahren. Auch ich freue mich darüber, glauben Sie mir das! Mir tut jede verspätete Minute ebenso weh wie Ihnen, ich habe nämlich nach dieser Fahrt Feierabend!”
Die Frau mit den Einkaufstüten schmunzelt, der junge Mann schmatzt unbeeindruckt weiter und steckt sich mit seinen nassen Fingern Kopfhörer in die Ohren. Plötzlich wird der Zug langsamer. Sofort meldet sich der Lokführer ein weiteres Mal: „Leider, leider gibt es eine Signalstörung! Schauen Sie aus dem Fenster, genießen Sie die Lichter! Vielleicht könnte Sie das etwas aufheitern! Übrigens, es soll auch Paare geben, die sich aufgrund einer Zugverspätung kennengelernt haben!”
Es gibt Gelächter. Eigentlich wollte ich im Stadtführer von Hamburg lesen, aber ich warte lieber auf weitere Bemerkungen des Lokführers. Und schon knacken die Lautsprecher wieder: „Es geht nun weiter, wie Sie alle bemerken dürften! Für diejenigen, die ich nerve: Ich halte jetzt meine Klappe!” Kurzes Gelächter, die Frau im Vierer neben mir spricht mich an: „Den würde ich gerne mal sehen! Der hat ja so ne schöne Stimme! ”