„Lasst uns einen Garten machen“

von Jan-Hendrik Schulz

Kräuter, Spinat und Kürbis – für alle! Die Gruppe „Transition Siegen“ will öffentlich zugängliche Stadtteilgärten anlegen und benutzt dazu Dinge, die nicht mehr gebraucht werden. Beim Urban Gardening werden nicht nur Kloschüsseln, Planschbecken oder Joghurtbecher mit Nutzpflanzen bepflanzt, sondern auch Nachbarn und Bürger zueinander gebracht.

Siegen. Rhabarber am Oberen Schloss käme vielleicht nicht so gut an bei der Stadt. Der Bewegung „Guerilla Gardening“, die öffentliche Plätze ohne Genehmigung – gerne auch mal mit Marihuana bepflanzt – folgt die Gruppe „Transition Siegen“ nicht: Sie wollen Greenspaces anlegen, öffentlich zugängliche Stadtteilgärten. Dabei geht es ihnen nicht um die Gestaltung öffentlichen Raums, sondern um Nutzpflanzen und Nahrungsmittel.

Der Garten am Effertsufer im Stadtteil Hammerhütte ist jetzt etwa einen Monat alt, und es wachsen schon Kräuter, Spinat, Kürbisse. Von außen sieht das umzäunte Areal nicht direkt aus wie ein Garten. Auf der Wiese stehen Pflanzkübel, lagern Paletten, am Zaun hängen Joghurtbecher und Flaschen. Kübel unter Klarsichtfolie sind Miniatur-Gewächshäuser. Was sich eignet, wird bepflanzt.

Unbrauchbares wird genutzt

Das Konzept sieht vor, nur Dinge zu verwenden, die niemand sonst mehr braucht: Eine Toilettenschüssel, ein Planschbecken, eine Lautsprecherbox. Fenster, beim Renovieren irgendwo in der Umgebung übrig geblieben, bilden das Dach eines noch unfertigen Gewächshauses. Mitinitiator Alex Shure erklärt, dass die Rahmen nur zusammengesteckt und jederzeit beliebig erweiterbar sind. „Planen an der Seite sorgen für natürliche Lüftung.“ Genauso Hochbeete, die lediglich von zwei Schrauben gehalten werden. „Wenn der Eigentümer das Gelände morgen anders nutzen will, können wir übermorgen weg sein“, sagt Esteban Shure, der eigentlich anders heißt, aber sich nach Alex benannt hat. Weil der so cool ist.

„Ich hatte eine Wurmbox als Komposter im Flur hängen“, erzählt Esteban über seine anfänglichen Experimente. 30 Würmer sind ausgebüxt, „was mir sehr leid für sie tat“. Weil das die anderen Mieter befremdlich finden könnten, überlegte Esteban mit Alex und weiteren Gleichgesinnten: Lasst uns einen Garten machen. Nicht einen durchdesignten, mit Gabionen, gekiesten Wegen und Zierbrunnen, sondern einen, der etwas zu essen hergibt.

Nachbarn passen auf Stadtteilgärten auf

Bei Google Maps kundschafteten sie Brachflächen aus, schrieben eine Mail ans Katasteramt, um die Eigentümer zu ermitteln und erfuhren über Umwege vom Projekt „Siegen blüht auf“. Sie bekamen die Erlaubnis, am Gelände Effertsufer zu gärtnern. Zum ersten Treffen kamen 15 Leute, einschließlich skeptischer Nachbarn. Was ist, wenn Randalierer sich nachts auf dem Gelände herumtreiben, Hunde die Gegend verschmutzen? „Die Kritiker sind inzwischen unsere Leibwächter“, sagt Esteban, „richtig cool, sie rufen an, wenn etwas verdächtig scheint, eine Frau gegenüber hat sogar eine Webcam installiert.“ Die Anwohner sehen, dass nur gegärtnert wird, „es ist auch deren Garten.“

Außerdem bietet das Effertsufer kaum Anreize für Rowdys. „Wollen die einen Blumentopf umstoßen? Es ist viel attraktiver mitzumachen“, ist Esteban überzeugt. Bei jedem Treffen kommen Leute, die von der Idee gehört haben und mitmachen wollen. Inzwischen gibt es Interessenten für andere Stadtteile. Birka-Elena Brocks wollte immer einen Garten mit Nutzpflanzen haben. Während sie Schilder mit „Mangold“ und „Blattspinat“ beschriftet, erzählt sie: „Unser Haus hatte nur Blumen im Garten, mit Kartoffeln pflanzen war da nichts, und die Fensterbänke meiner Wohnung waren irgendwann zu voll.“

Charakteristisch für das Gelände sind die „Kräuterflaschen“. „Kartoffeln eignen sich nicht so“, sagt Esteban. Eigentlich störte der Metallzaun die Gruppe, bis jemand auf die Idee kam, vertikal zu gärtnern und Einwegflaschen aufzuhängen. Die Flaschen werden mit Kompost und Samen gefüllt und an einer Stelle angebohrt, dadurch wachsen die Triebe nach außen. „Wir sammeln Einwegflaschen und haben bereits festgestellt, dass wir mehr Zaun brauchen“, grinst Esteban.

Alle arbeiten an allem mit. Jemand hat eine Idee oder Material und fängt an. Ein anderer erweitert, ergänzt oder übernimmt. „Wir sind sehr gemischt, von Jugendlichen bis zu Rentnern“, sagt Esteban. „Jeder hat Ahnung von etwas anderem, eins und eins ergibt bei uns mehr als zwei.“

Natürliche Prozesse werden genutzt: In die Beete kommen Steine, Reisig, Kompost, Samen. Dann heißt es warten. In der Erde gärt es, es entstehen Nährstoffe, die Samen treiben aus. „Wenn man die Triebe sieht, fühlt man sich, als wäre man Vater geworden“, sagt Esteban.