von Natalie Meyer
Theaterkritik zu „Liliom“. Eine Inszenierung der Neuen Studiobühne.
Ein blauer Sternenhimmel und ein niedliches Karussell mit lustigen Pferdchen sind auf den Flyern der Neuen Studiobühne für ihr aktuelles Stück Liliom zu sehen. Bei diesem Anblick hat man unwillkürlich sofort den Geruch von gebrannten Mandeln, Zuckerwatte oder Bratwurst in der Nase. Der ein oder andere kann sich vielleicht sogar noch an sein Lieblingstier auf dem Fahrgeschäft erinnern – oder war es ein Auto, ein Hubschrauber?
Genau das war nach eigenen Angaben die Intention des ungarischen Dramatikers Ferenc Molná, aus dessen Feder das im Jahr 1909 uraufgeführte Stück stammt. Realistisch sollte es sein. „Mit den Gedanken eines armen Schaukelgesellen im Stadtwäldchen, mit seiner Phantasie und seiner Ungehobeltheit“, so Molná.
Wer sich jedoch auf ein romantisches Schauspiel im Hintergrund des Jahrmarkts gefreut hat, der wird sich umsehen. Liliom (Thimmo Dombrowski) ist der typische Antiheld: Er arbeitet bei der temperamentvollen Frau Muskat (Maike Feldmann) als „Ansager im Ringelspiel“ des Stadtwäldchens. Nachdem er das Hausmädchen Julie (Fiona Keimeier) auf einer Karusselfahrt an der Hüfte berührt hat, kommt es zu einer eher unglücklichen Liebelei. Julie verliebt sich in Liliom, obwohl die Polizei vor ihm warnt – hat er doch schon oftmals Hausmädchen ausgenutzt, um an ihr Geld zu gelangen. Julie lässt sich dennoch auf ihn ein, verliert ebenso wie Liliom ihre Arbeit und lebt mit ihm bei einer Verwandten. Liliom schlägt sie, will nicht arbeiten und träumt von einem besseren Leben in Amerika. Ein Überfall, den er mit seinem Kumpanen Ficsur (Moritz Steinacker) geplant hat, soll ihm die Reise nach Amerika finanzieren. Da die Polizei ihn jedoch nach der missglückten Tat festnehmen will, bringt Liliom sich in dieser aussichtslosen Situation das Leben. Nicht nur die Angst vor der Justiz sondern auch die Angst vor Verantwortung gegenüber Julie scheint hierbei eine Rolle zu spielen. Selbst im Tod empfindet er kein Mitleid für Julie, die schwanger und mittellos auf der Erde zurückbleibt.
Jahrmarktmusik wird während der Szenen mehrmals laut aufgedreht und zieht den Zuschauer immer wieder aus der Handlung heraus, zurück auf den Rummel, wo Liliom doch eigentlich hingehört. Auch das Bühnenbild überzeugt. Der Schatten bunter Lichter ist seitlich am Bühnenrand zu erkennen. Eine Lichterkette. Ein Fotoatelier mit farblosen Fotografien, die auch im Programmheft wieder aufgegriffen werden. Dann die große Uhr während der markanten Szene im „Himmel“. Ein riesiges Gebilde. Der Zeiger dreht sich unablässig, während sich davor die Handlung abspielt. Man hat das Gefühl, dass die Zeit abläuft. Nicht nur für Liliom.
Die Rolle des Liliom spielt Thimmo Dombrowski meist leise, zurückhaltend, sodass das Publikum jedes Mal ein wenig zusammenzuckt, wenn Liliom seine Stimme erhebt und auf Julie losgeht. Während diese meist mit monotoner Stimme spricht und man ihr die Trauer um Liliom nicht so wirklich abnehmen kann, sind es vor allem die Nebenrollen, die überzeugen. So zum Beispiel Moritz Steinacker, der den Saufkumpanen und Komplizen von Liliom darstellt. Ausgelassen brüllt er die wohl kaum zeitgemäßen, dadurch aber durchaus zum Ganovendasein passende Zeilen: „Dreh dich nicht um, der Kommissar geht um“, und nippt an einer Bierflasche. Er zuckt auch dann noch nervös mit den Fingern, als die Aufmerksamkeit schon längst nicht mehr ihm gilt und er im Hintergrund Platz genommen hat. Ebenso Juliane Mazur, die die entfernte Verwandte Frau Hollunder spielt, welche das skurrile Liebespaar bei sich aufnimmt. Mit rauer Stimme, humpelnd auf einen Stock gestützt, imitiert sie die Stereotype einer alten verbitterten Dame nahezu perfekt.
Die Aufführung von Liliom wurde eindeutig mit viel Liebe zum Detail gestaltet und organisiert. An den ein oder anderen Stellen hätte ich mir von den Darstellern der beiden Hauptfiguren Liliom und Julie etwas mehr Emotionen gewünscht, obwohl dies eindeutig durch die Nebenrollen wieder wettgemacht wurde. Dennoch ist die Geschichte spannend, packend und ideal für Happy-End-Verachter und Anti-Helden-Fans. Eindeutig eine gelungene Inszenierung!