Prof. Petra M. Vogel über den Kulturschock Schweiz – Siegen und die Macht als Dekanin. Und was sie da überhaupt so tut.
Teil 1 des großen LiteraListen-Interviews von Hendrik Schulz und Christian Schütte.
Foto: Hendrik Schulz
Frau Vogel, Sie leben und arbeiten seit knapp sieben Jahren in Siegen, vorher waren Sie lange in der schönen Schweiz in Bern – wie halten Sie das aus? Siegen gilt ja nicht als besonders einladend …
Als ich mit meiner Familie von Bern hierher kam, war das schon ein gewisser Kulturschock. Wir sind im Juli 2006 direkt zur Einschulung unserer Tochter umgezogen. Ich musste aber noch bis Oktober in Bern arbeiten und mit dem Zug hin und her pendeln. Ich war jedes Mal sehr traurig, wenn ich aus Bern weg musste. (lacht) Vor allem auch, weil der Sprung Bern – Siegen so groß war. Bern und Zürich haben sehr viel Lebensqualität, Siegen eher weniger.
Was macht den Kulturschock aus?
Ein Kollege, der zu einer Tagung hier war, meinte: „hässlichste Stadt mit den nettesten Menschen in Deutschland“. Und da hat er schon irgendwie recht. Die Leute hier sind total nette Menschen! Aber das Problem ist einfach, dass Siegen keine Atmosphäre hat. So denken, glaube ich, viele Leute, die von weiter her kommen. Das Komische ist, dass ich Siegen von einem früheren Workshop eigentlich positiver in Erinnerung hatte, als wir dann hier waren, nicht mehr so … Aber die Menschen sind superfreundlich!
War das denn in Bern anders?
Nein, das ist die einzige Gemeinsamkeit. (lacht) Aber die Freundlichkeit der Menschen steht bisweilen im Gegensatz zu dem, was man hier sieht. In Kreuztal, wo ich wohne, ist es besonders deprimierend, ein Geschäft nach dem anderen macht zu
Warum wohnen Sie denn da?
Weil wir nur zwei Tage Zeit hatten und alles so schnell gehen musste. Es gab sowieso nur zwei Angebote. Ab vier Zimmern aufwärts wird hier eher gekauft und nicht mehr vermietet.
Und seitdem hat sich kein Umzug mehr in die durchaus vorhandenen schönen Gegenden des Siegerlands ergeben?
Meine Tochter will nicht mehr umziehen … Sie ist mit sechs Jahren hergekommen und sagt: „Ich bin Siegerländerin und Kreuztalerin“. Der Umzug von der Schweiz war schon schwer für sie. Anfangs wollte sie immer nach Hause in die Schweiz. Wir sind daher der Meinung, wir leben hier in jedem Fall so lange, bis unsere Tochter aus dem Haus ist, und dann schauen wir weiter. Heimat ist das hier bislang noch nicht.
Was ist sonst Ihre Heimat?
Meine Heimat ist zum einen da, wo ich herkomme, das Dorf in Franken, in dem ich aufgewachsen bin. Dann die Schweiz ein bisschen, weil ich mich da sehr schnell wohlgefühlt habe. Außerdem noch Osnabrück, wo ich auch sieben Jahre gelebt und gearbeitet habe. Sieben Jahre sind wohl ein Knackpunkt fürs Heimatgefühl. Allerdings bin ich jetzt auch sieben Jahre hier, also wer weiß …
Würden Sie dann innerhalb des Siegerlandes umziehen wollen?
Im Augenblick tendieren wir eher zu Osnabrück. Die Schweiz ist zu weit. Viele Professoren pendeln ja, was eigentlich nicht gut ist, weil man vor Ort nicht so viel mitbekommt. Mit sechs Stunden Fahrt nach Bern wäre es damals gegangen, aber unsere Tochter war sechs Jahre alt und ich wollte nicht die ganze Woche weg sein.
Ihre berufliche Zukunft sehen Sie aber weiter hier?
Im Augenblick schon. Man überlegt ja immer, sich möglicherweise wegzubewerben. Dann würde ich allerdings auch hinziehen. Meine Familie will aber nicht so recht, außerdem wurde mir bisher nicht wirklich mehr geboten, als ich hier habe.
Sie sind schon relativ weit in der Hierarchie der Uni emporgeklettert …
Dekan ist keine Karriere, sondern ein Job, den kaum einer machen will. Der Dekan kann formal vielleicht viel entscheiden, aber er sollte es nicht tun. Und einen Machtgewinn versprechen sich nur die wenigsten. Für die meisten ist es eine Belastung. An manchen Unis wird turnusmäßig gewechselt, damit jeder mal die „Bürde“ trägt.
Aber eine Führungsaufgabe erfüllen Sie ja schon, als Mittler zwischen Unileitung und Fakultät. Muss man da manchmal auch Entscheidungen treffen, durch die man sich Feinde schafft?
Meiner Meinung nach nicht, aber ich weiß ja nicht, ob mich jemand als Feind betrachtet, solange man mir das nicht sagt. Ich denke aber auch gar nicht darüber nach. Oft gibt es ein klares Schwarz-Weiß, manchmal aber eben auch einen Graubereich und dann versuche ich, eine Win-win-Situation für beide Seiten herzustellen. Ich kann mich nicht erinnern, dass es in meinen zwei Jahren als Dekanin einmal keinen tragbaren Kompromiss gegeben oder mich eine Entscheidung belastet hätte. Was höhergehängt ist, geht in den Fakultätsrat und der entscheidet dann. Ich bin sehr für ein solches demokratisches Vorgehen. Dann gibt es keinen Grund, dass jemand erbost ist. Selbst wenn ich wollte, kann ich vieles gar nicht alleine umsetzen, weil ich auf die Fakultät angewiesen bin und auch für sie spreche. Gleichzeitig muss ich als Vermittler mit dem Rektorat zurechtkommen.
Rektor Burckhart gilt als sehr kommunikativer Typ, man hört allerdings auch immer wieder, dass er hinter verschlossenen Türen ungemütlich werden kann. Können Sie das bestätigen?
Wir kommen miteinander zurecht. Wie jeder andere Mensch hat er wahrscheinlich Vor- und Nachteile. In einer Hierarchie ist die Funktion entscheidend, man muss nicht miteinander befreundet sein, denn darum geht es nicht.
Merkt man, dass er Philosoph ist?
Nein,aber ich habe überhaupt keine Ahnung, wie ein Philosoph zu sein hat. Vorwiegend habe ich auch mit Herrn Mannel zu tun, der ja Physiker ist. Was man übrigens auch nicht merkt. (lacht) Die meisten operativen Dinge bespreche ich außerdem mit den Dezernenten, mit dem Rektor habe ich so gesehen gar nicht so viel zu tun.
Unterscheidet sich Herrn Burckharts Job wesentlich von Ihrem?
Theoretisch nicht, faktisch aber schon. Ich arbeite als Dekanin noch mehr auf der operativen Ebene, was der Rektor nicht muss und auch nicht zu viel sollte. Die Ämter ähneln sich aber darin, dass es viel um Strategie geht. Die Verantwortung eines Rektors ist natürlich größer.
Können Sie sich vorstellen, Rektorin zu werden? Zum Beispiel in Siegen?
Das kann ich mir überall vorstellen. Was ich nicht machen würde, wären diese ganzen Grußworte, das würde ich delegieren. Als Rektor hat man ja zum Beispiel auch einen Kanzler, der das übernehmen könnte. Als ich zur Dekanin gewählt wurde, habe ich gleich gesagt, dass ich keine Grußworte mache. Ganz bin ich natürlich nicht darum herum gekommen. (lacht)
Repräsentieren ist nicht Ihr Ding?
Wenn es wirklich um etwas geht, ist es okay. Als reinen Selbstzweck finde ich es anstrengend. Wenn ich nichts Fachliches oder Persönliches beitragen kann, bitte ich meistens Herrn Leschke, denn der kann wirklich zu allem etwas beitragen.
Viele Studis haben sich gewundert, dass Sie nach der Umstrukturierung der Fachbereiche zu den Fakultäten Dekanin wurden, das kam überraschend.
Komisch, wieso? Kann das vielleicht daran liegen, dass man den Dekan eher als Mann sieht? Eigentlich haben auch alle erwartet, dass einer der beiden „Alt-Dekane“ der damaligen Fachbereiche 1 und 3 weitermacht, Herr Stanitzek oder Frau Baringhorst und damit hätten auch alle gut leben können. Sie wollten aber leider beide nicht, Herr Habscheid hat sich dann bereit erklärt, das Amt kommissarisch zu führen, aber nicht länger.
Sie haben immer das Gefühl vermittelt, dass sie sehr gerne lehren. Aber als Dekanin ist das ja nur noch eingeschränkt möglich.
Genauso gerne mache ich aber auch Verwaltung. Ich liebe es! Es ähnelt Wissenschaft sehr stark: Man organisiert, strukturiert Fakten, konzipiert, systematisiert. Das machen Wissenschaftler sowieso die ganze Zeit und Linguisten besonders. Ich habe nicht das Gefühl, dass es für mich mühsam ist, aber wenn man Verwaltung nicht gerne macht, ist es sicher schlimm. Als Dekan wird das Lehrdeputat nach der NRW-Lehrverpflichtungsverordnung um 75 Prozent reduziert. Dafür sind die meisten dankbar, denn kaum einer lehrt noch gern die gesamten neun Stunden neben der vielen Verwaltung. Und die Forschung kommt eben auch zu kurz.
Wie sieht denn ein normaler Arbeitstag als Dekanin aus?
Die meiste Zeit geht für Besprechungen, Sitzungen, E-Mails und Telefonieren drauf. Ich bekomme etwa hundert Mails am Tag. Im Prinzip gibt es keine Pause, man muss sich zwingen aufzuhören, weil immer irgendetwas ansteht. Als Prodekanin für Personal und Finanzen war es aber noch schlimmer. Im jetzigen Dekanat haben wir eine Geschäftsführerin und bald bekommen wir noch eine weitere, das ist wirklich eine Erleichterung. Daher habe ich jetzt auch etwas mehr Zeit für Forschung
Nehmen Sie sich Arbeit mit nach Hause?
Ja, wie die meisten Wissenschaftler nehme ich mir Arbeit mit nach Hause und das ist überhaupt nicht gut. Eine räumliche Trennung ist besser. Man muss sich dazu zwingen, auch gedanklich. Letzten Sonntag habe ich den Computer nicht angemacht, was bisher noch nicht oft geklappt hat. Ich versuche es zumindest.
Wie bewältigen Sie die Flut an E-Mails? Auf Ihrer Homepage versprechen Sie, dass Sie jede Mail innerhalb von 48 Stunden beantworten.
Ich habe nie gedacht: „Mann, sind das viele“. Es gibt natürlich manche Mails mit Fragen zu meinen Veranstaltungen, die eigentlich überflüssig sind, da schreibe ich nur „s. LSF“, weil dort in der Regel alles steht. Und das mit den 48 Stunden habe ich von einem Kollegen abgeguckt, das mache ich sowieso und dann kann ich es ja auch „verkaufen“.
Im nächsten Teil: Frau Vogel gibt als Sprachwissenschaftlerin einen Einblick in ihre Schreibgewohnheiten und erklärt, warum sie ihre Tochter fürs Lesen bezahlt.