von Jan-Hendrik Schulz
Während deutsche Studenten sich nur noch zu einem Bruchteil für Politik interessieren und Wert darauf legen, schöne Dinge kaufen zu können, werden in Syrien junge Menschen verhaftet und gefoltert. Weil sie friedlich für Frieden und Freiheit demonstrieren. Saad. A. saß über zwei Monate in einem Foltergefängnis der Assad-Schergen. Zur Zeit lebt er in Burbach; dies ist seine Geschichte.
Den 6. Juli 2013 wird A. nie vergessen. Der Alltag in Aleppo, seiner Heimatstadt, ist kompliziert. Es gibt kein Syrien mehr, mal haben die Regimetruppen die Kontrolle, mal die Freie Syrische Armee. Die Fakultät des Maschinenbaustudenten liegt in Assad-Gebiet, er wohnt im Rebellenareal. Auf seinem Tablet zeigt er Videos: Studenten demonstrieren für Frieden, sie wollen in Ruhe studieren, auch A. ist unter ihnen. Er steht kurz vor dem Examen, ein junger Mann mit gestutztem Bart, Kunstlederjacke, Sneakers, blau-braun gesprenkelten Augen. An diesem Tag passt ihn die Polizei vor der Uni ab, sie wollen fünf Minuten seiner Zeit, nur reden. Die Polizei ist der Inlandsgeheimdienst. Bei denen weigert man sich nicht.
Sie werfen ihn ins Gefängnis. Eine Zelle unter der Erde, sechs mal sechs Meter groß, 80 Häftlinge. Zum Sitzen ist es zu eng, Stehen auf Dauer zu anstrengend, sie knien, an die Beine des Nächsten gelehnt. Geschlafen wird im Schichtbetrieb. Dann drängen sich die anderen noch enger zusammen, während sich die Ermatteten wenige Stunden erholen. In einer Ecke eine rote Funzel, es stinkt fürchterlich, Luft strömt nur durch ein paar fingerdicke Löcher in das Verlies. „Die ersten zwei Wochen konnte ich kaum atmen“, sagt A. Dreimal am Tag werden sie abgeholt, dürfen auf die Toilette. Eine Reihe von zehn Männern, Kopf gesenkt, Hände auf den Schultern des Vordermanns, trotten den Flur entlang. Wer aufblickt, wird geschlagen. Niemand sagt, warum sie einsitzen. Nur Schläge. Die Kerkermeister kontrollieren die Zeit.
Mit dem Kabel auf die nackten Fußsohlen
Eine halbe Minute dürfen sie in die Toilettenkabinen, dann werden sie herausgezerrt und geschlagen. Hygiene gibt es keinenicht. Die Schergen ziehen einen Wasserschlauch an den Häftlingen vorbei, manche riskieren die Schläge und trinken auf dem Flur aus einer Abwasserrinne.
Nach einem Monat und zehn Tagen holen sie ihn ab. Sie rufen seinen Namen, er muss sich an die Wand stellen, Handschellen klicken, ein Tuch über die Augen, er wird aus der Gemeinschaftszelle hinausgeführt.
Das Gefängnis besteht aus vier etwa gleich großen Räumen, in der Mitte die Folterkammer. Dorthin bringen sie A., werfen ihn zu Boden, halten ihn fest, 30 Minuten Schläge mit einem Kabel auf seine nackten Fußsohlen. Keine Fragen, nur Schläge. „Ich hätte alles gesagt, nur damit es aufhört“, sagt A. Plötzlich hört es auf. Er wird in die Hocke gezerrt, seine Knie durch einen Autoreifen gezwungen, eine Stange durch seine Kniekehlen gesteckt. Bewegungsunfähig. In dieser Fötusstellung tritt man ihn zu Boden, das Gesicht auf dem Beton. Sie gießen Wasser über die zerschundenen Fußsohlen, lindern die brennenden Schmerzen.
Dann schlagen sie wieder los. Ein Schlag, eine Frage. „Wer ist noch bei dem Protest dabeigewesen?“ Klatsch. „Wer war noch dabei?“ Ein Tritt ins Gesicht. „An wie vielen Demonstrationen hast du teilgenommen?“ A. hatte sich geschworen: Ich verrate niemanden, er will Familie, Freunde schützen, ihnen darf so etwas nicht widerfahren. „Ich war nur ein Passant“, wimmert er. Irgendwann ist der Folterknecht erschöpft, jetzt ist der andere an der Reihe. Erschöpft und zerschunden fleht A. um Gnade, er kann nicht mehr denken, der ganze Körper ein einziger glühender Schmerz. Sie können sich seine Antwort aussuchen, was sie wollen, was ihnen passt. Damit es nur aufhört.
An den Peinigern ist nichts Menschliches mehr
Das reicht seinen Peinigern nicht. „Ich dachte, es ist vorbei und es geht zurück in die Zelle“, erzählt A. Es kommt die nächste Stufe. Er sollte raus aus dem Reifen, der ihm die Knie knebelte, Füße blutig, Beine taub, Hände noch immer auf dem Rücken gefesselt, trotzdem kam er irgendwie hoch. „Keine Ahnung, wie ich das geschafft habe.“ Die Handschellen gehen auf, er muss die Fäuste nebeneinander vor die Brust halten, mit den Handflächen nach oben. die Fäuste mit den Handflächen nach oben vor der Brust nebeneinander halten. Dann schlingen sie Kabelbinder um die Gelenke und ziehen zu.
Das Plastik, dünn und scharfkantig, schneidet ins Fleisch. A. zieht seine Armbanduhr beiseite und zeigt die Male. Dunkel verfärbte Haut, Narbengewebe. Er muss auf einen Stuhl steigen, die gefesselten Hände emporgereckt, sie werden an der Decke fixiert.
Dann treten sie den Stuhl weg und gehen.
Mit der äußersten Zehenspitze berührt A. den Boden. „Ich hatte alles Körpergefühl verloren, das Blut lief an mir herunter“, er lacht, wenn er das heute erzählt. Durch die Schläge ist sein Fuß geschwollen. „Ich wollte nur noch sterben.“ In der Zelle sind alle fast nackt, vor dem Verhör durfte er seine Jeans anziehen. Über 15 Kilo Gewicht hat er verloren, es gibt für jeden drei Schälchen Reis am Tag, manchmal eine Tomate für zehn Personen, die sie mit den Fingernägeln zerschneiden und aufteilen. Die Jeans schlottert um den ausgezehrten Körper, A. schafft es, die Hose am Boden zu einem Knäuel zu formen und sich draufzustellen. Jetzt haben die Fußballen Kontakt, das Reißen an seinen Handgelenken lässt etwas nach.
Dann kommen die Peiniger wieder.
Schläge, Beleidigungen gegen ihn, seine Familie, Wörter, die er nicht wiederholen will, nicht wiederholen kann. A. ist gläubiger Moslem, seine Folterknechte behaupten das auch von sich, aber sie ziehen sogar Allahs Namen in den Dreck. Das widert A. bis heute am meisten an. „Das sind keine Menschen“, sagt er und schüttelt noch immer fassungslos den Kopf. Nach 90 Minuten lassen sie endlich von ihm ab, bringen ihn zurück.
Nur noch ein blutiger Klumpen Fleisch
Die anderen drängen sich zusammen, machen Platz für den Klumpen Fleisch, opfern ihr kostbares Wasser, um ihn notdürftig zu versorgen. „Ich konnte nichts spüren“, sagt berichtet A., als er an sich heruntersah, konnte er nicht glauben, dass er das sein sollte, er stand wie neben sich. Noch sechs Monate nach seiner Freilassung wird er seine Hände nicht richtig gebrauchen können.