10.11.2014: Mit den Augen einer Fotografin

von Franziska Elsner

Eine bunte Welle fliegt auf die Frau zu, tausende Farbpartikel scheinen in der Luft zu schweben und regnen auf die Haut herab. Leicht setzen sie sich auf die Wimpern und in die Haare des Models. Die junge Frau blinzelt und öffnet verführerisch die Augen. Das Klicken der Kamera wird schneller und intensiver. Der richtige Augenblick ist wichtig. Dieser kann der Bruchteil einer Sekunde sein, in dem alles stimmt und genau diesen Moment gilt es festzuhalten. Jeder Einzelne der kleinen Gruppe weiß, was er zu tun hat. Der Make-Up-Artist kümmert sich um das Make-Up und das Outfit des Models und die Blitze müssen im richtigen Winkel auf das Model und den Hintergrund gerichtet sein. Mit der Kamera in der Hand und unzähligen Schweißtropfen auf der Stirn komme zu guter Letzt ich selbst ins Spiel. Durch den Sucher meiner Spiegelreflex habe ich bereits unglaublich interessante und grundverschiedene Charaktere kennen gelernt und in ausdrucksstarken Bildern festgehalten.

So auch die schüchterne Marie, die mich mit ihren großen, braunen Augen zurückhaltend anschaute und in der Vorbereitung mehrmals betonte, dass sie bisher keinerlei Modelerfahrung sammeln konnte. Kaum stand sie im Licht der Softboxen, poste sie selbstbewusst, vergaß alles und jeden um sich herum und konzentrierte sich nur auf sich selbst. Als sie die entstandenen Aufnahmen auf dem Kameradisplay das erste Mal sah, stockte ihr der Atem. „Wow! Ich hab gar nicht gewusst, dass ich so etwas gut kann! Ich bin wunderschön.“ Solche Erlebnisse gemeinsam mit einem Menschen zu machen ist unbeschreiblich, weil sich die Models in einem neuen Licht sehen und erkennen, wie wunderschön sie sind.

Genauso wie bei dem besonderen Aktshooting, das Anfang letzter Woche in meinem Kalender stand. Katharina, 42, hatte sich bereits einige Wochen zuvor bei mir gemeldet und mir erzählt, ihr Mann habe sie vor Kurzem verlassen. Der Schmerz sitzt noch tief, denn die Trennung hat sie schwer getroffen. Jetzt will sie sich selbst beweisen, dass sie durchaus noch begehrenswert ist und ihren eigenen Körper liebt. Sie wollte, obwohl sie mit ihrer Figur alles andere als zufrieden war, ein Aktshooting bei mir machen – eine große menschliche Herausforderung, da es nun an mir lag, ihr zu zeigen, wie schön sie war.

Kurz vorher hatte sie noch überlegt abzusagen, doch nach einer Stunde Fotoshooting war sie überglücklich, dass sie es nicht getan hatte. Sie begann zu weinen und umarmte mich unentwegt. „Du hast mir mein Selbstbewusstsein zurückgegeben“, sagte sie und ich strahlte. Dies sind Momente, die eine ganz besondere Magie entwickeln und mich immer wieder sehr berühren. Ein Foto hat die Macht, Charaktere auszudrücken und wie in Paar- und Hochzeitsshootings zwischenmenschliche Augenblicke für immer festzuhalten. Trotzdem ist es wichtig, einen Menschen natürlich zu inszenieren, um seinen Charakter auch im Bild ausdrücken zu können und ihn nicht komplett zu verändern. Wer von uns kennt nicht die perfekten Models, die auf Zeitschriften abgebildet sind. Das Gesicht ist makellos, geradezu puppenhaft – keine Falten und keine Muttermale. Es könnten auch Schaufensterpuppen posieren, denn von oben bis unten retuschiert beginnen sich die Models zu gleichen.

Fotos sind stark! Mit ihrer Hilfe können Geschichten erzählt und Erinnerungen festgehalten werden. Jeden Menschen zeichnen besondere Eigenschaften aus und genau die gilt es hervorzuheben und nicht mit Photoshop künstlich zu verändern oder sogar zu erzeugen.