Buchmesse 2024 – Altern ist in aller Munde

Von Michael Fassel

Um es gleich vorwegzunehmen: Mein subjektiver Eindruck der diesjährigen Frankfurter Buchmesse mag täuschen. Das liegt zum einen daran, dass ich mir dort zwar überwiegend mainstreamige Gespräche und Kurzlesungen namhafter Autor:innen wie Caroline Peters, Eva Demski, Elke Heidenreich, Martina Hefter, Iris Wolff oder Jackie Thomae. An dieser Stelle könnte man betonen, wie sichtbar Weiblichkeit im Literaturbetrieb im Allgemeinen, auf der Frankfurter Buchmesse 2024 im Besonderen ist. Aber warum differenzieren zwischen den Geschlechtern? Gottschalk mit Ich suche mir ja die Veranstaltungen nicht nach sozio-kulturellen Kategorien wie Geschlecht aus. Ob ein Mann, eine Frau oder eine non-binäre Person liest, spielt eine untergeordnete Rolle. Gleichwohl kommt es auf die Sichtbarkeit von Feminismus und Queerness an. Als Teil der Buchmesse ganz selbstverständlich.

Insofern suche ich mir die Veranstaltungen nach kulturellen Kriterien aus. Wenn ich Literaturtipps von Denis Scheck haben möchte, besuche ich seine kurzweilige Druckfrisch-Ausgabe. Überdies ist es herrlich, ihm zuzuhören. Um noch tiefer in die Literaturkritik zu tauchen, lausche ich gespannt der Aufzeichnung der Buchzeit, moderiert von Gert Scobel. Zusammen mit Barbara Vinken, Katrin Schumacher und Sandra Kegel diskutieren sie Bücher wie z.B. Nora Bossongs Reichskanzlerplatz oder Western Lane von Chetna Maroo. Tiefgreifende Gespräche, leider aber ist sich die Runde oft in der Weiterempfehlung  durchgängig einig. Heiße Leseempfehlungen also (abrufbar in der 3Sat-Mediathek). Ich hingegen bevorzuge Literatur, die eine solche intellektuelle Runde spaltet. Aber Streit um des Streits Willen wäre auch falsch, die Zeiten eines Reich-Ranickis sind vorbei.

Wieder mit einem neuen Buch vertreten ist Elke Heidenreich. In ihrem Essay Altern reflektiert die 81-Jährige klug und mit gewohnt schonungslos ehrlichem Zungenschlag über das Altern. Ihr Text ist auch eine kleine Bildungsreise. Was ist das eigentlich, das Altern? Wie haben antike Autoren über das Alter gedacht? Elke Heidenreich tritt mit ihrem Essay in die Fußstapfen von Simone de Beauvoir und Silvia Bovenschen. Und trotz seines geringen Umfangs von etwa 100 Seiten kann sich Alter sehen lassen. Und Elke Heidenreich ist sehr beschäftigt. Neben Signierstunden, einer erfrischend-frechen Diskussion mit der ebenso schlagfertigen Eva Demski (80) im Talk-Konzept Sheroes (Moderation: Jagoda Marinić). So spritzig das Gespräch über das Alter und die Zukunft sind, so zeigen sich beide besorgt über den Nationalismus auf der Welt. Elke Heidenreich muss nur an den „orangefarbenen Idioten“ in den USA denken, um zu signalisieren, dass ihr die Welt mit 81 natürlich keineswegs egal sei.

Es tut gut, so viel unterhaltsamen Intellektualismus von älteren Damen zu hören, weil man in jüngeren Lebensjahren denkt: Geil, da habe ich ja noch einiges vor mir! Vielleicht halten auch tägliche Rituale jung. „Ich esse jeden Tag eine Tafel Schokolade“, verrät Elke Heidenreich im Interview. Selbst ihre Ärzte davon abraten, warum sollte sie das nach acht Jahrzehnten ändern? Schokolade müsse süß schmecken und erteilt damit der Zartbitterschokolade eine Absage. Am liebsten esse sie Vollmilch mit Nuss. Und auch wenn sie das Gendern offen verabscheut, bemerke ich, dass wir viele Gemeinsamkeiten haben. Und als wir uns bei der Signierstunde in die Augen blicken, frage ich mich, wie viele Sätze diese blauen Augen gestreift haben.

Fernab des gehobenen Intellektualismus hat sich eine ehemalige Moderationsgröße auf die Buchmesse verirrt. Thomas Gottschalk legt eine geriatrische Jammerschrift vor. Es mag einigen Fans wehtun, dass sich die Fernsehlegende im Prozess der Entzauberung selbst zerlegt. So unterschiedlich kann man auf gehobenem und niedrigem Niveau altern.

Auf der Buchmesse bekomme ich viel zu hören und noch mehr zu sehen, wenn ich durch die Messehallen flaniere. Das ist mittlerweile mein Ritual am ersten Tag meines Besuchs. Mittlerweile sind die riesigen Hallen keine Irrgärten mehr, sondern wunderbare Oasen des Austausch, der Begegnung und nicht zuletzt der Inspiration. Erst dann, nach etwa zwei Stunden des Umhergehens, komme ich zur Ruhe, sehe mir einige Lesungen, Diskussionen und Gespräche an. Und unisono bekomme ich leider immer wieder zu hören, dass die Verlage, allen voran die kleinen, zum Teil kämpfen müssen. In Zeiten des kulturellen Kahlschlags nicht überraschend. Aber umso wichtiger, dass die Buchmesse weiterhin so stark besucht, nicht nur von Fachbesucher:innen und Journalist:innen, sondern auch von Menschen, die gerne lesen, seien es Romane, Sachbücher, Magazine oder Zeitungen.

Und auch wenn mein Eindruck der Buchmesse sehr subjektiv war (über die Diskussion über das Gastland Italien verweise ich auf die überregionalen Tageszeitungen), so hoffe ich dennoch, einige zum Besuch zur nächsten Buchmesse bewegt zu haben.