Das Mineral

von Christian Bocksch

Ein Ehepaar lebte jahrelang in Frieden und Glück zusammen. Wobei sich die Glückseligkeit vorwiegend aus den getrennt verbrachten Stunden speiste. Gab es zu Anfang, als er begann mehr Zeit an dem Tresen seiner Stammkneipe, statt mit ihr zu verbringen, noch die verträumte Erinnerung an den Beginn der gemeinsamen Beziehung, dauerte es nicht lange, und sie erkannte den Vorteil, die Zeit für sinnvollere Tätigkeiten zu nutzen, und nicht damit zu vergeuden die marode Liebe zu restaurieren.
Ärgerlich war daran nur, dass der konsumierte Alkohol keinerlei positiven Einfluss auf sein Gemüt hatte. Kam er dann vollgepumpt mit legalen Nervengiften durch die Tür der Küche, lag bereits der Geruch von Unwetter in der Luft. Ein Anlass für einen Streit war schnell gefunden, zumeist wegen des Essens. An diesem Tag war es das Salz gewesen, das ihm fehlte. Er fühlte sich unverstanden, sie hatte es satt, ständig der Amboss zu sein, auf den er draufschlagen konnte wie es ihm gefiel. Ihre Widerworte, die im Verlauf des Streites immer weniger sachlich wurden, dafür zielsicher seine Männlichkeit in Frage stellten, reizten ihn bis zum äußersten. Mit gerötetem Gesicht sprang er auf, umrundete den Esstisch aus Buche. Sie flüchtete nicht, sondern stellte sich ihm entgegen, für ihn ein weiterer Affront. Er holte weit mit der geballten Faust aus, aber sie wendete Blick auch dann nicht ab als seine Hand in schmerzvoller Absicht her niederfuhr.
Aber der Alkohol zeigte seine Wirkung, und der Schlag verfehlte sein Ziel. Überrascht von der Wucht, geriet der Mann ins straucheln, touchierte den Tisch, dessen harten und ungeschliffenen Kanten in selbst zum Kauf bewogen hatten, und blieb vor den Füßen seiner überraschten Gattin liegen.

Der Hausarzt der Familie genoss schlürfend den letzten Rest der Suppe, die sowohl das Abendessen als auch den Streit überstanden hatte, und unterzeichnete das Formular des Notfallsanitäters, der ein wenig verärgert, über den glimpflichen Ausgang, der Ehemann hatte überlebt, und saß schmollend auf dem Sofa, war. Der Arzt dankte für das gute Essen, und versicherte ihm, das eher zu viel Salz in der Suppe gewesen sei, bedenke man seinen chronischen Bluthochdruck. Dann war das Ehepaar wieder allein, aber alles hatte sich geändert.

Sensibilisiert durch die beinahe durchgängige Darstellung von Kriminalität in Fernsehfilmen, breitete sich in der Nachbarschaft das Gerücht aus, die Frau habe hinterhältigst versucht ihren von Liebe geblendeten Ehemann zu ermorden, und alles als Unfall getarnt. Sie litt unter diesen Anschuldigungen, aber an wen konnte sie sich wenden? Der örtliche Pfarrer wies sie ab, weil er damit beschäftigt war seine Limousine zu waschen. Und ihr wurde bewusst, dass es keine gute Idee gewesen war ihm bei dem Kirchfest im vorhergehenden Sommer unter die Nase zu reiben, wie viel Geld sie an Kirchensteuer durch den Austritt gespart hatte.

Der Mann hatte inzwischen Zuflucht bei der Nachbarin erhalten, wurde dort nicht nur bekocht, sondern auch bedauert, und kam nun gar nicht mehr nach Hause. Es war der dritte Tag seiner Abwesenheit, und sie hatte sich, obwohl es erst Mittag war, ein großzügiges Glas Bourbon eingegossen. Gerade als sie ansetzte, ertönte das Glockenspiel des BigBen, jemand war an der Haustür. Sie stellte das Glas ab, und öffnete. Es waren zwei Polizisten, beide schauten betroffen und hatten ihre Mützen abgenommen.
„Wir haben eine traurige Nachricht für Sie Frau….“
In dem Moment lief der Hausarzt aus dem Nachbarhaus zurück zu seinem Fahrzeug. Er zuckte mit den Achseln während er einstieg: „Jaja ich hab ihm immer gesagt kein Salz, aber was ihre Nachbarin ihm alles gekocht hat, rotes Fleisch mit Salzkruste und dazu Fettsoße. Machen Sie sich nichts daraus, den Totenschein bekommen Sie morgen.“ Dann fuhr er los. Die Polizisten klopften ihr noch einmal auf die Schulter, dann fuhren auch sie, mit der kurzzeitigen Lieblingsköchin des Mannes, die Straße hinunter. In der Folge bekundete der Großteil der Nachbarschaft, dass man ja nie angenommen habe, sie hätte etwas mit dem Sturz ihres Mannes zu tun gehabt. – Merke.