Die Angst vor dem Auftritt

von Alex Mosig

Die ruhigen, melodischen Klänge der zwei Musiker haben keinen Effekt auf meine Nervosität. Wenn überhaupt, dann gegensätzlich zum gewünschten. Statt den Puls zu drücken, schlägt mein Herz immer schneller. Meine Poren beginnen sich zu öffnen und ich merke wie sich langsam Schweißperlen bilden. „Scheiße. Auch das noch. Zu allem Überfluss auch das noch…“, streift es mir niedergeschlagen durch meine Gedanken. Unauffällig versuche ich meine Achsel zu berühren, um zu testen, ob ich mich überhaupt trauen kann, die Arme zu öffnen, wenn es nach vorne geht. Das Ergebnis fatal. Hätte ich an so etwas wie ein Shirt zum Wechseln gedacht, dann wäre jetzt der richtige Zeitpunkt dafür gewesen. Hatte ich natürlich nicht. An was hatte ich überhaupt gedacht?

Morgens. Verzweiflung macht sich in meinen Gedanken breit. Seit drei Stunden schon versuche ich aufzustehen. Dann müsste ich aber das Unausweichliche tun. Endlich meinen Text für heute Abend schreiben. Bisher keine halbe Seite zu Papier gebracht. Ein Gefasel, dass sich jeglicher Logik entzieht. „Die würden mich auslachen. Ausbuhen. Was weiß ich? Jedenfalls muss da noch was geschehen, sonst kann ich mich da nie wieder blicken lassen.“

Langsam richte ich mich auf. Klo, Kaffee, Kippe und an den Schreibtisch. Ehe ich nur einen Blick auf das Blatt geworfen habe, setzt schon die Wirkung der darmfördernden Mischung ein. Nochmal Klo. „So wird das nie was bis heute Abend.“ Ich resigniere.

Mittags. Die Seite inzwischen voll beschrieben. Dazu sogar noch eine zweite geschafft. „Gut, gut.“ Korrigieren und dann ab zum Bahnhof gehen. Schon nach zwei Sätzen meldet sich erneut mein Magen zu Wort. Wie am Morgen. Wie nach der Kaffeekippenmischung. Diesmal allerdings durch Nervosität ausgelöst. „Mist ist das. Verdammten beschissenen Mist hatte ich fabriziert!“ Egal. Die Zeit wird knapp und ich muss ja noch zum Bahnhof, einen Kollegen einsammeln. „Musstest ja der ganzen Welt von deinem tollen Auftritt berichten… Idiot!“ Gedanken überschlugen sich. Bin ich schon durch mit meiner Korrektur? Ich weiß es nicht mehr. Das ist alles zu viel für mich. Ohne zu wissen warum, gehe ich zum Kühlschrank, greife nach einem kühlen Bier und habe den Bügel schon beim Aufrichten ploppen lassen.

Mit dem Bier setzt eine faszinierende Routine ein, die sich bis jetzt gehalten hat. Jetzt, da ich wenige Minuten oder gar nur noch Sekunden, vor meinen Auftritt stehe. Ob korrigiert oder nicht, kann ich gar nicht genau sagen. Selbst das Thema ist mir inzwischen ungewiss. Da höre ich es. Der Moderator dankt den zwei Bandmitgliedern und bittet mich auf die Bühne. Die Menge applaudiert. Ich unsicher, schwankend und wohl aussehend als wäre ich fieberkrank. Die Klamotten durchgeschwitzt. Blick nach unten. Bloß nicht nervös wirken. Das Gegenteil setzt ein. Der Kopf fühlt sich an, als ob er in Flammen steht. „Fuck, fuck, fuck.“ Mehr kann ich nicht mehr denken. Der unbekannte Typ auf der Bühne faselt was von Newcomer und ambitionierter Schreiber. Er schließt mit: „The stage is yours. Viel Spaß!“ Jeder Schritt wird gezwungener, denn eigentlich will ich rennen. Nicht zur Bühne. Raus hier, weg von alledem. „Ruhig atmen, ein und aus.“, ermahne ich meinen Körper und es hilft. Plötzlich sitze ich, den Text vor mir ausgebreitet, das Mikrofon in der Hand. Ich räuspere mich und höre mein eigenes, schweres Atmen. Nun, da es kein Zurück mehr gibt, habe ich die Freiheit alles zu tun. Diesen Gedanken gefasst, versuche ich das angestrengte Atmen für meine Zwecke zu nutzen. Versuche mit dem Publikum zu spielen, sie mitzureißen und dann beginne ich. Trotz des Gefühls, als hätte mir jemand ein Sedativum verabreicht, schaffe ich es meinen Text akzentuiert vorzutragen. Danach Applaus und endlich Stille. Stille in meinen Gedanken. Stille in meinem Kopf. Geschafft.