von Katharina Peetz
Porträt einer „self-made woman“.
Resolut klopft Sandra Keller* an die Bürotür des Chefarztes der Radiologie. Ihren Klienten Herrn Rashmari* hat sie im Schlepptau. Als sie das Zimmer betreten, wirkt der Chefarzt überrascht. Er hat mit Keller oft telefoniert, Verhandlungen geführt und Termine vereinbart. Die kräftige, raue Stimme ließ auf eine Frau mittleren Alters von großer Statur schließen. Nun steht Sandra Keller vor ihm: Sie ist 27 Jahre alt und 1,59 Meter klein. Die hohen Stöckelschuhe mit Pfennigabsatz gleichen das nicht aus. Der graue Hosenanzug sitzt eng, die langen, blondierten Haare sind zu einem Zopf zusammengebunden. Eine Narbe am linken Nasenflügel deutet auf ein früheres Piercing hin. Sie streckt dem Chefarzt die manikürte Hand mit den künstlichen Fingernägeln entgegen und redet gleich drauf los, nutzt den Überraschungseffekt. Sie preist Herrn Rashmaris außerordentliche medizinische Fähigkeiten, betont immer wieder, wie gern er in diesem Krankenhaus als Assistenzarzt arbeiten würde. Am Ende des Bewerbungsgesprächs hat Herr Rashmari seine Stelle so gut wie sicher. Die Geschäftsführerin der Personalvermittlungsagentur ist zufrieden.
Sandra Keller ist eine „self-made woman“. Sie ist als Tochter eines Drehers und einer Ergotherapeutin in Siegen geboren und aufgewachsen. Die Scheidung der Eltern erfolgt, als Keller sieben Jahre alt ist. Sie bezeichnet sich selbst als „Schlüsselkind“, das schon mit zwölf Jahren für die jüngere Schwester Mittagessen kocht. Die zehnte Klasse auf der Realschule schafft sie nicht und geht mit einem Hauptschulabschluss ab. „Wer mein Zeugnis anschaut, glaubt, dass ich nur hinter der Kasse sitzen kann.“ Trotz des schlechten Schulabschlusses erhält sie einen Ausbildungsplatz als Groß-und Außenhandelskauffrau für Medizin und Rehatechnik. Die Ausbildung schließt sie ab, doch weil sie Probleme mit dem Chef hat, wirft sie ihren Job hin und zieht nach Konstanz: „Ich war zuvor mal ein Wochenende dort und es hat mir so gut gefallen.“ Von Plänen hält sie zu dieser Zeit nicht viel. Stattdessen stürzt sie sich in Konstanz in ein Abenteuer, nimmt einen hohen Bankkredit auf und eröffnet einen Schoko-Lladen. Nach Weihnachten flaut das Schokoladen-Geschäft ab. Keller langweilt sich. Sie gründet mit ihrem damaligen Lebensgefährten im Alter von 24 Jahren eine Vermittlungsagentur für medizinisches Personal. „Aus einer Laune heraus“, sagt sie. Etwas mehr Überlegung steckt doch dahinter: Ihre Mutter animiert sie dazu, einem jungen Arzt aus Rumänien unter die Arme zu greifen, der mit dem neuen Leben in Deutschland überfordert ist. „Ich wollte Leuten zu einem besseren Leben verhelfen.“ Keller schafft es, mit dieser Einstellung auch Geld zu verdienen. Nach der Gründung in Konstanz im Jahr 2009 ist das Unternehmen zunächst eine „Wohnzimmerfirma“. Der Umsatz wächst schnell. Die Firma zieht wegen der günstigen geografischen Lage zurück nach Siegen. Inzwischen gibt es Geschäftsvertretungen in Rumänien und in der Slowakei. Sandra Keller ist geschäftsführende Gesellschafterin in einem Unternehmen mit insgesamt zehn Mitarbeitern.
Obwohl sie große Verantwortung trägt, ist sie so etwas wie die Anti-Führungsfrau. Keller ist keine Feministin und auch keine Vorreiterin für Frauen in Führungspositionen. Die Frauenquote ist ihr egal, sie denkt selten so global. Ihre Ansichten zu diesem Thema sind fast naiv: „Ich denke, jede Frau, die darauf Lust hat, schafft es auch, eine Führungsposition zu erreichen.“ Zwischen Frauen und Männern in Führungspositionen gibt es für sie nur einen einzigen Unterschied: Frauen sind multitaskingfähig. Deswegen sind in Siegen einhundert Prozent ihrer Angestellten weiblich ‒ nur die zwei Geschäftsführer neben Keller sind Männer. Eine bessere Chefin sei sie auf Grund ihres Geschlechts aber sicherlich nicht.
Fragt man Sandra Keller nach ihren Träumen und Zukunftsplänen, haben diese nichts mit der Karriere zu tun. „Mit 30 möchte ich Porsche fahren.“ Die Arbeit ist Mittel zum Zweck. Bis 65 berufstätig zu sein, kann sie sich nicht vorstellen. Lieber möchte sie von dem bereits verdienten Geld nach Florida auswandern und dort nur gelegentlich zum Spaß arbeiten.
Die Deutsche Telekom hat als erstes DAX-Unternehmen 2010 freiwillig die Frauenquote eingeführt. Adidas will bis 2015 mehr als ein Drittel der Führungspositionen in Deutschland mit Frauen besetzen, Volkswagen strebt einen Prozentsatz von 30 an. Weitere Unternehmen werden in den nächsten Jahren folgen, ob in Form von starren Quoten oder lediglich durch die verstärkte Förderung von Frauen in Chefetagen.
Sandra Keller ist das alles gleichgültig. Bis die Quote von Frauen in Führungspositionen mit der von Männern gleichzusetzen ist, wird sie vermutlich in ihrem Porsche den Ocean Drive in Miami entlangfahren.
* Name geändert