„Schreiben ist eine undankbare Aufgabe“, Zuhören eine wunderbare

Ein Rückblick auf die Lesung vom 3. Februar im Museum für Gegenwartskunst

Von Leonie Hentis

Hohe Decken, dunkler Parkettboden – steril und kultiviert –, Schwarz-weiß-Portraits
von Menschen aus einem vorherigen Jahrhundert blicken in den Saal und in der
Mitte sind 30 Holzstühle mit genügend Abstand zueinander aufgestellt.
Auch die meisten Gäste sind in eine schwarz-weiße und zumeist kuschlige Garderobe gehüllt und führen stehend unbefangene Gespräche. Zwischen ihnen sitzen
Studierende mit DINA4-Blättern in den leicht zittrigen Händen – sie wirken
konzentriert und ganz in ihre Zettel versunken. Eine Mitarbeiterin des Museums für Gegenwartskunst tritt an das ebene Podium heran und eine erwartungsvolle Stille breitet sich aus. Sie plädiert an die Studierenden „doch häufiger vorbeizuschauen, ist ja schließlich kostenlos.“ Schmunzelnder Zuspruch seitens der Zuhörenden. Dann wird die studentische Lesung am 3. Februar um 18.00 Uhr eröffnet. Unsere einzige Anforderung an diesem Abend wird es sein, die fünf Texte auf uns wirken zu lassen.

Lesung 03.02. (2)

Wieder einmal so richtig zuhören, eine wunderbare Aufgabe. Der gesamte Abend wurde von so einer wertschätzenden Stille begleitet, dass man verwundert feststellte: Niemand war in sein Smartphone vertieft. Seltsam, dass es einem seltsam erscheint, wenn sich die Menschen um einen herum einer längeren Aufmerksamkeitsspanne hingeben und nicht ständig in den schwarzen Tiefen der Social-Media-Welt versinken.

Raus aus der Komfortzone aufs Podium
Eva darf den Anfang machen, später wird sie sagen, dass sie dankbar für den ersten Vortrag des Abends ist, denn nur so konnte sie die nachfolgenden Texte auch
wirklich genießen. Jetzt hofft Eva nur, dass ihre Stimme durchhält, zu groß die Nervosität, doch ihre Stimme bleibt. Nachdem sie die erste Seite vorgelesen hat, wirkt sie wie beflügelt von ihrem Schritt raus aus der Komfortzone aufs Podium. Applaus
ertönt und dann ein kurzer Moment der Ruhe, ein Versuch den Text nachträglich
ganz auf sich wirken zu lassen. „Schreiben ist eine sehr undankbare Aufgabe,“ erklingt es vom Podium.

Keiner kann den Weltuntergang so optimistisch schildern wie Christian
Christian, im bunt gestreiften T-Shirt ganz im Kontrast zur dunklen Winterkleidung der Zuhörenden, eröffnet seinen Vortrag. Viele Augenpaare lächeln über den FFP2-Masken
und Köpfe nicken zustimmend. Christians Stimme nimmt den Saal ein, es wirkt beinahe so als wäre das Licht noch schummriger geworden, um Christians Stimme
noch mehr Platz einzuräumen. Sein Text ist eine Paarung aus Science-Fiction und
Gesellschaftskritik, der die Sicht eines Außerirdischen über den Untergang der
Menschen schildert. Am Ende fragt man sich, ob nicht wir die Fremdartigen sind,
die sich ihren eigenen Weltuntergang auf bunten Kästen (TVs) ausmalen und an-
schauen. Keiner kann den Weltuntergang so optimistisch schildern wie Christian.
Applaus erfüllt den Saal, der Text hat eingeschlagen wie ein kleiner Asteroid.

Emotionale Gesangseinlage
Als nächstes ertönt die gefühlvolle Stimme von Mohini und ihrer Gitarre. Und wäh-
rend sie ihren ergreifenden Liebessong „You are a part of me, I am a part of you“
singt, wirken die Zuhörer*innen gedankenverloren, und vereinzelt wird auch eine
Träne vergossen. Dankbar für die verklanglichte Poesie geht es weiter mit mitrei-
ßenden und bewegenden Texten. Der Abend bietet eine Bandbreite an Emotionen.

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Die Texte gehen an die Substanz
Der nächste Vortrag ist so ungemütlich und kalt, dass sich die Stimmung im Saal
verändert, später werden einige Zuhörer*innen sagen, dass dieser Text sie am
meisten traf. Die Stille des Textes wird nun als aufbauende Bedrohung wahrge-
nommen, die Vortragende lässt die Panik ihrer Protagonistin in den Saal eintreten.
Tosender Applaus. Während der nachfolgende Text eine klirrend kalte Winternacht in den Saal zaubert, hinterlässt der Abschlusstext die Frage, ob wir am Ende
des Tages unser eigener Käfig sind? Was wäre wenn nicht das Dorf in dem wir le-
ben, den Job, den wir erfüllen, die Partnerschaft, die wir führen, der Käfig ist – was
ist wenn ich mein eigener Käfig bin? Die Texte gehen an die Substanz und genau
das macht diesen Abend so mitreißend. Es bräuchte mehr Lesungen wie diese für
all die Künstler*innen, die die Höhen und Tiefen des Schreibens auf sich nehmen,
um uns auf die Reise des Zuhörens mitzunehmen.

 

Ein Gedanke zu “„Schreiben ist eine undankbare Aufgabe“, Zuhören eine wunderbare

  1. Großartig…. Die Autorin nimmt einen mit in die Vorträge. Man/Frau entkommt der Stimmung nicht… wird mit gerissen von dem Strudel der Emotionen…. als würde man selbst da sitzen und ZUHÖREN.

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