von Christian Schulz
Selfies sind überall. Die deutsche Fußballnationalmannschaft, Barack Obama und sogar der Papst sind auf einschlägigen im Netz kursierenden Selfies zu sehen. 2013 vom Oxford Dictionary zum englischen Wort des Jahres gewählt, legte das Selfie binnen kürzester Zeit eine steile (Medien-) Karriere hin. Erst jüngst erregte das sogenannte „Flüchtlings-Selfie“ von Angela Merkel die sowieso schon erhitzten Gemüter in der Flüchtlingsdebatte.
In Düsseldorf, das nach einer Erhebung des „Time“- Magazins zu Deutschlands Selfie-Hauptstadt gekürt wurde, widmet sich nun eine Ausstellung im NRW-Forum dem massenmedialen Alltagsphänomen und bringt die Selfies ins Museum. „Ego Update“ zeigt 23 Exponate von nationalen und internationalen Künstlern und Medienschaffenden und versucht dem vermeintlich oberflächlichen Phänomen der Selfie-Fotografie auf die Spur zu kommen. Schon der Titel der Ausstellung verweist auf den dem Selfie inhärenten Aspekt der (digitalen) Selbstoptimierung und das damit einhergehende „Ideal-Ich“. Evident wird dies in der Ausstellung in der Foto-Serie „Alter Ego“ des britischen Fotografen Robbie Cooper, die zwar genaugenommen keine Selfies zeigt, sondern vielmehr die Avatare von Online-Spielern mit ihrer realen Erscheinungsform kontrastiert. Damit wird augenscheinlich nicht direkt auf das Selfie an sich eingegangen, es werden jedoch essentielle Fragen bzgl. des Antriebs Selfies zu schießen und online zu stellen berührt: Wie sehe ich mich selbst? Wer wäre ich gerne? Wie möchte ich gesehen werden? Der Ausstellungsbesucher kann, im Gegensatz zu den Online-Mitspielern, gewissermaßen hinter die Fassade blicken und wird damit zwangsweise mit Fragen, der auch Selfies zugrunde liegenden Dynamik zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung sowie der Frage nach der Körperlichkeit konfrontiert.
Auf die Spitze treibt dies die rein fiktive und nur im Netz als Avatar existierende Künstlerin Laturbo Avedon, die in ihren digitalen Skulpturen, Fotografien und Videos auf eine materielle Körperlichkeit verzichtet. Mit ihren in der Ausstellung gezeigten „Untextured Self-Portraits“ wird nicht nur das Internet-Meme „Parked Domain Girl“ imitiert, sondern auch dem Künstler Jan Vermeer („Das Mädchen mit dem Perlenohrgehänge“) und der Theoretikerin Donna Haraway („Cyborg Manifesto“) gehuldigt. Überhaupt ist man versucht Körperlichkeit (einschließlich des Gesichts als weiterem zentralen Selfie-Merkmal) und Prominenz als die beiden Grundpfeiler der Ausstellung zu identifizieren. Denn nicht nur die lange vor dem Selfie-Trend entstandenen und mit QuickSnap-Kamera aufgenommenen „Autoportraits“ von Prominenten (u. a. von Jogi Löw), die der Fotograf Jonas Unger zeigt, verweisen auf diesen für das Verständnis des Selfies wichtigen Aspekt. Auch die fingierten mit Doppelgängern von Prominenten inszenierten Aufnahmen der britischen Fotografin und Videokünstlerin Alison Jackson und die Bronze-Büste des „lebenden Selfies“ MC Fitti schlagen in diese Kerbe, die sich auf die ein oder andere Weise auch in jedem „Alltags-Selfie“ wiederfindet und mit der New Yorker Medienwissenschaftlerin Theresa Senft treffend auch als „Mikro-Prominenz“ bezeichnet werden kann. Wo die fingierten Aufnahmen Alison Jacksons auf den unhintergehbaren Aspekt der Inszenierung solcher Fotografien (und damit jedes Selfies) verweisen und z. T. verschwommen mit Schnappschuss-Ästhetik daherkommen, kann man in MC Fittis Bronze-Büste, neben dem „Sich selbst abfeiern“, den (zweifelhaften) Versuch erkennen, das auf das „Jetzt“ und die unmittelbare Gegenwart verweisende Selfie zu etwas nachhaltigerem als nur einer Momentaufnahme zu machen.
Und hier wird es dann, v. a. wohl für die/den ein/e KunsthistorikerIn, problematisch. Darf das Selfie im Museum thematisiert werden und damit vielleicht sogar in den heiligen „Olymp der Kunst“ aufgenommen werden? Aber natürlich darf es das! Vielmehr muss es das vielleicht sogar. Auch wenn die Ausstellung nicht mehr als eine Annäherung an das Phänomen Selfie bietet und dementsprechend kaum einen erkennbaren roten Faden hat, womit nicht zuletzt der weitere Forschungsbedarf evident wird. Wie auch an den obigen Ausführungen erkennbar ist, werden selbst die dem Selfie inhärenten Attribute in den gezeigten Exponaten zumeist nicht am Selfie selbst erkundet. Ganz zu schweigen davon, dass der Kommunikationsaspekt, der dem Selfie zweifelsohne innewohnt, mit Ausnahme der gezeigten Kommentarleiste von Arvida Byströms meist kommentiertem Instagram-Bild, nahezu gänzlich fehlt.
In letzter Konsequenz bleibt die Ausstellung in ihren Zugängen zum Selfie-Phänomen, trotz ein paar äußerst kreativer Momente, man denke nur an die post-foto-grafischen 3D-Portraits, die die Bio-Hackerin Heather Dewey Hagborg mittels in Kaugummis und Zigarettenstummeln gefundener DNA hergestellt hat und die im Subtext auf die mit jedem Selfie entstehenden Metadaten verweisen, ähnlich disparat wie der dazugehörige Katalog und die dort verhandelten theoretischen Zugänge, obgleich letzterer eine Art Überblick zum wissenschaftlichen Forschungsstand bietet. Nicht zuletzt deshalb ist es wichtig das Selfie auch im musealen Kontext zu thematisieren, denn nur so können Denkanstöße auf breiter Ebene, mögen sie noch so disparat erscheinen, entstehen.
Weitere Informationen zur Ausstellung:
Ego Update
Christian Schulz ist Doktorand am Graduiertenkolleg „Materialität und Produktion“ (GRK 1678) der Heinrich-Heine Universität Düsseldorf.