– über Youtube-Stars und LeFloids Merkel-Interview
von Natalie Meyer
Foto: Natalie und ihre Mitbewohnerin Kathleen
Ich habe sie lange aus den Augen verloren, sie sogar fast vergessen. Die Youtuber (Fachjargon: Vlogger). Eigentlich habe ich mich auch nie sonderlich für sie interessiert. Youtube, das war für mich von Anfang an eine tolle musikalische Sache. Endlich nicht mehr stundenlang vor VivaPlus sitzen und darauf hoffen, das erwünschte Musikvideo sehen zu können. Musikvideos auf Knopfdruck, Livemusik, Konzerte, auf denen ich selbst war,- noch einmal sehen. Auch „Dia-Videos“ mit hinterlegter Musik fand ich noch einigermaßen belustigend. Die Youtuber-Phase wäre sogar an mir vorbei gegangen, wäre da nicht meine drei Jahre jüngere Schwester Jenni gewesen. Meine Schwester und ich – sie ungefähr 12, ich 15- damals total auf dem Twilight-Trip, waren begeistert von Y-Titty, deren heutiger Ruhm noch in weiter Ferne war. Auch Coldmirror fanden meine Freunde und ich mega lustig. Das war’s. Seitdem habe ich nichts mehr von den Youtubern gehört. Und hätte auch nie gedacht, dass ich dadurch etwas verpasse. Dass ich nicht „Up to date“ bin.
Dann vor einigen Wochen im Kino: Der Trailer zu einem Kinofilm, besetzt mit Youtubern statt mit Schauspielern. Ich erkannte die Jungs von Y-Titty. Den Rest nicht. Meine Mitbewohnerinnen links und rechts von mir (21 und 20) kannten sie alle. Ich war erstaunt und ließ mich in die Materie einweisen. Und rastete aus, als mir meine Mitbewohnerin und gute Freundin Kathleen „Bibis Beauty Palace“ zeigte. Ein Kanal, den über 2 Millionen Menschen abonniert hatten. Wir sahen uns Videos an, die fünf Millionen Aufrufe oder mehr hatten. Und es ging um Frisuren, Schminktipps und ähnliches. Damit ist „Bibi“, die sich als nervige, ich möchte fast sagen hirnamputierte Blondine präsentiert, berühmt und scheinbar auch erfolgreich geworden. Ich glaubte wieder an den Untergang der Menschheit und konnte einfach nicht verstehen, wie sich zwei Millionen Menschen regelmäßig diese Videos reinziehen konnten. Kathleen erklärte mir ruhig, dass es vor allem Teenager wären, für die diese Tipps sehr nützlich und hilfreich wären. Die Bravo Girl quasi als Video. Geht schneller und ist kostenlos. Das leuchtete mir dann ein. Übrigens: Bibi hat ihr Studium der Sozialwissenschaften an unserer Siegener Universität unterbrochen, um ihre Youtube-Karriere voran zu bringen. Wer hätte das gedacht?!
Wir sahen uns all die großen Stars an wie „Herr Tutorial“ und „Die Außenseiter“ und wie sie alle heißen. Mir fiel relativ schnell auf, dass sie alle gleich redeten, alle übermäßig viel Mimik und Gestik einsetzten, gleich betonten, ihre Stimme schrill werden ließen. Fast erinnerten sie mich ein wenig an Poetry Slamer. Dann zeigte mir Kathleen „LeFloid“. Genau zum richtigen Zeitpunkt, wie sich nun herausstellt. LeFloid legt ebenfalls Wert auf überzogene nonverbale Kommunikation aber wenigstens informierte er die Youtube-Community einigermaßen qualifiziert – oder sagen wir besser altersgerecht – über politische und gesellschaftliche Probleme. Auch er kann sich mit über zwei Millionen Abonnenten brüsten, was mich überrascht und ein wenig gefreut hat. Also sind die Youtuber doch nicht nur Trash-TV mit hohem Unterhaltungsgehalt. Dann traf mich am Dienstag der große Schock, als ich meine Facebook-Startseite überflog. Diverse Zeitungen berichten über LeFloids Merkel-Interview? Ein Film, okay. Bravo-Titelseite, okay. Aber ein Interview mit Angela Merkel? Entspannt las ich, dass LeFloid wohl eher PR für Merkels neue Bürgerdialog-Kampagne „Gut leben in Deutschland“ machte, anstatt sie wirklich ernsthaft zu interviewen. Ich sah mir das Video zusammen mit Kathleen an. Jeans, Hemd, ein Cap. „So interviewt man doch nicht die Bundeskanzlerin! Hat der Typ denn überhaupt keinen Respekt? Mir wäre das echt peinlich“, regte ich mich auf. Gelassen erklärte mir Kathleen, dass das nun einmal LeFloids Markenzeichen wäre, genauso wie zu Angela Merkel die Mundwinkel gehörten. Nach dem Video war mir klar: Als Journalist würde mir LeFloid keine Konkurrenz machen. Es schien so, als arbeitete er brav einen Fragekatalog ab, den er vorher mit der Pressestelle der CDU abgesprochen hatte. Merkel bot sogar an, ihm CDU-Flyer zukommen zu lassen. Was man nun davon halten soll? Meiner Meinung nach: Abstand.
Eine schöne Entdeckung habe ich aber auch gemacht: Es gibt zahlreiche Book-Challenges auf Youtube und viele Literaturchannels. Vor allem deutsche Literatur-, Philosophie- und Medienstudierende bereichern die Welt gern mit Buchkritiken, in die Kamera gesprochenen philosophischen Gedanken oder mit Medienkritik. Zwar können sie von den Abonnenten- und Aufrufzahlen von Bibi, LeFloid und Co. Nur träumen – aber hey, es gibt auch so etwas.
-> Im Zusammenhang dieses Artikels möchte ich auch noch auf „weiterführende Literatur“ verweisen. Der Spiegel war – ähnlich wie ich – mit LeFlois Merkel-Interview überfordert und ließ sich daher von Schülerpraktikantin Jette (16) aushelfen:
http://www.spiegel.de/politik/deutschland/lefloid-interviewt-angela-merkel-youtube-star-trifft-kanzlerin-a-1043496.html