von Dinah Fischer
Von allen Seiten wird auf Amazon geschimpft. Verlage und Buchhandlungen schimpfen schon lange, Leser schimpfen, nachdem sie ihren neuesten Einkauf bei Amazon erfolgreich abgeschlossen haben, und nun verschwören sich auch noch die Autoren gegen Amazon. Es ist sicher nicht falsch, zu behaupten, dass sich der Internet-Konzern im Kampf befindet: Amazon(en) gegen „Musen“, das heißt unpersönlicher Online- gegen stationären, authentischen, inspirierenden Buchhandel, der zum „Stöbern“ einlädt. „Stöbern“ ist das Trendwort der Buchliebhaber. Der buchaffine Mensch wird automatisch mit einem Verlangen nach Anfassbarem in Verbindung gebracht, das Amazon mit seinen virtuellen Bücherregalen nicht befriedigen kann. Was heißt „stöbern“? Es suggeriert ein gemütliches, schlenderndes Büchersuchen. Stöbern ist assoziativ, zwanglos, inspirationsverbunden – in jedem Fall stressfrei. Doch wie sieht Stöbern tatsächlich aus?
Ein samstäglicher Besuch bei Thalia, der Buchhandlung mit der grünen Muse verspricht Erhellung. Es ist ein verregneter Tag – das Ende der Sommerferien steht bevor – und draußen ist es kalt. Am Eingang der Buchhandlung stößt man allerdings schon um zehn Uhr vormittags auf erhitzte Gemüter. Ich überlege, ob ich nicht ein anderes Mal wiederkommen soll, aber die freundliche grüne Muse über der Tür lächelt mich so einladend an, dass ich hineingehe. Falsche Entscheidung. Die Buchhandlung gleicht einer Kampfarena voller gestresster Eltern mit hyperaktiven Kindern, die vom Ende der Ferien wieder einmal überfallen wurden und sich nun daran erinnern, dass es da ja so eine Liste mit Büchern gab … Die „Stöberer“ – zu erkennen an den fehlenden Schulbuchlisten und dem verstörten Gesichtsausdruck – haben sich Schutz suchend vor der Belletristik-Wand zusammengeschart und versuchen, nicht in die Flugbahn von messerscharfen Satzfetzen zu geraten, die die aufgebrachten Mütter den gehetzten Buchhändlerinnen an den Kopf werfen. „Wie, das Buch kommt nicht mehr bis morgen – wieso das denn nicht?!“ (Ich hatte erwähnt, dass Samstag ist.) „Also, ich weiß jetzt nicht genau, wie das Buch heißt. Irgendwas mit Englisch halt. Sie sind doch die Bedienung. Welche Klasse? Aurora, in welche Klasse kommst du jetzt noch mal?“ Aurora weiß es offenbar auch nicht, zumindest antwortet sie nicht, sondern beobachtet ihren kleinen Bruder, der sich damit beschäftigt, einen der „Stöberer“ mit seiner Wasserpistole zu bedrohen. „Stirb!“, schreit er und starrt den Mann mit kindlicher Verachtung nieder. Der Mann macht nicht den Eindruck, als beabsichtige er zu sterben – zumindest nicht heute und auf Kommando –, und verlässt lieber fluchtartig die Buchhandlung. Die grüne Muse sieht ihm wehmütig nach. Sie und ich seufzen im Chor. So viel zum Stöbern.
Ich bin dann auch nach Hause gegangen und habe meine Bücher diesmal online bestellt. An manchen Tagen ist das nun einmal die angenehmere Alternative. Doch ist dies keine Verteidigung Amazons – wie die Kämpferinnen aus der griechischen Mythologie kann sich das Unternehmen, nach allem, was man so hört, ganz gut selbst verteidigen. Nein, ich stehe noch immer auf Seiten der Musen, womit ich nicht nur jene grünmusige Buchhandlung meine, sondern alle, die sich zur Zeit gegen Amazon durchsetzen müssen. Ich habe meine Bücher auf der Homepage einer kleinen inhaber-geführten Buchhandlung bestellt. Denn im Streit zwischen Amazon und dem Rest der Bücherwelt wurde immer wieder außer Acht gelassen, dass auch andere Buchhandlungen über eine Online-Präsenz verfügen und die Bücher oft genauso schnell nach Hause liefern wie Amazon.
Die zwei Gegenpositionen lauten also nicht: Stöbern im stationären Buchhandel gegen Online-Kauf, wie es oft so schön polemisch dargestellt wird, sondern: Amazon(en) gegen „Musen“.