von Natalie Meyer
Nachdem der tragische Tod der 23-jährigen Tugce aus Offenbach bekannt wurde, gab es mehr und mehr skurrile und seltsame „Berichterstattungen“ zu dem Thema. Bevor ich die verschiedenen Ausschnitte aus der Medienlandschaft für sich sprechen lasse, hier ein Überblick zu den Ereignissen, für diejenigen unter euch, die noch immer nicht wissen, wer Tugce ist. Hilfe bietet hier Tugces Wikipedia-Artikel:
Tuğçe Albayrak (* 28. November 1991 in Bad Soden-Salmünster; † 26. November 2014 in Offenbach am Main) war eine deutsche Lehramtsstudentin türkischer Abstammung. Die 22-jährige Tuğçe Albayrak war am frühen Morgen des 15. November auf dem Parkplatz vor einem Schnellrestaurant in Offenbach niedergeschlagen worden, nachdem sie möglicherweise einen Streit hatte schlichten wollen. Dabei erlitt sie schwere Schädel- und Hirnverletzungen und fiel ins Koma. Am 26. November 2014 wurde ihr Hirntod festgestellt. An ihrem 23. Geburtstag am 28. November 2014 wurden die intensivmedizinischen Maßnahmen eingestellt. Nationale und internationale Medien berichteten ausführlich über den Vorfall. Er löste in Deutschland eine öffentliche Diskussion über Zivilcourage und Jugendkriminalität aus. Tuğçe Albayrak wurde zu einer Symbolfigur für Zivilcourage.
Tugce hat nicht nur Zivilcourage bewiesen, sondern hatte auch noch einen Organspendeausweis:
Tuğçe A., die den Folgen einer Prügelattacke erlag, besaß einen Organspendeausweis. Deshalb habe die Familie einer Entnahme für Transplantationen zugestimmt, hieß es. Am Freitagabend hatten sich rund 1500 Menschen in einer Mahnwache vor dem Krankenhaus von der jungen Frau verabschiedet.
Bundespräsident spricht Eltern Beileid aus
[Er] will nun prüfen lassen, ob Tuğçe A. posthum mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet werden kann. Das teilte Gauck der Internetplattform „change.org“ mit. Diese hatte eine entsprechende Online-Petition ins Leben gerufen und mehr als 100 000 Unterschriften gesammelt. Der Bundespräsident werde den Wunsch prüfen, Tuğçe A. mit dem Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland zu würdigen, schrieb Gauck an „change.org“. (29.11.2014, Süddeutsche Zeitung)
Neben dem Bundesverdienstkreuzes könnte demnächst sogar eine Brücke nach Tugce benannt werden:
Offenbach – Politiker sagen JA zur Tugce -Brücke!
Es wäre eine besondere Ehrung für die getötete Studentin und eine tolle Geste für ihre Familie: Eine Brücke in Offenbach könnte bald nach Tugce A. benannt werden. (12.12.2014, Bild)
Ego-Shooter verursachen Amokläufe, Rap-Musik hat körperliche Gewalt zu verantworten? Egal ob Bild-Zeitung, Die Zeit oder Der Spiegel: Die Tatsache, dass Tugces Täter kurze Zeit ein Bild, auf dem er gemeinsam mit Rapper Haftbefehl zu sehen ist, auf Facebook postete, sorgte für jede Menge Spekulationen:
Hat Sanel M. die Texte des Rappers etwa zu ernst genommen? Hat er Tugce skrupellos mit der Faust ins Gesicht geschlagen, weil er es für normal hielt? ( 30.11.2014, Bild)
Ein emotionales Interview mit dem betroffenen Künstler veröffentlichte der „Spiegel“ am 30.11.2014:
Der mutmaßliche Täter, offensichtlich ein Haftbefehl-Fan, soll kurz vor der Tat ein selbst gemachtes Foto des Rappers auf seine Facebook-Seite hochgeladen haben. „Ich musste lange nachdenken, ob ich diese Musik so weitermachen kann“, sagt Haftbefehl.
Die Frankfurter Allgemeine Zeitung nahm am 9.12.2014 den Fall Tugce zum Anlass, um sich damit zu beschäftigen, warum Jugendliche nachts im Mc Donalds „abhängen“.
Nächtliches „Abhängen“: Sie wissen nicht, woher ihr Hass kommt
Nachts hängen sie bei McDonald’s ab. Meistens passiert nichts, aber manchmal explodiert unversehens die Gewalt. Ein Bericht über Blut und Burger .
Mehrfach wurde in den letzten Tagen die Möglichkeit diskutiert, dass Tugce ihre Täter möglicherweise provoziert haben könnte.
„Hurensohn“? „Hurentochter“?
Sanel M. tut Tugces Tod leid. Das hat der 18-Jährige die Staatsanwaltschaft wissen lassen. Wieso er zugeschlagen hat, sagt er aber nicht. Dafür behaupten Freunde nun: Er wurde von Tugce beschimpft. (08.12.2014, Die Welt)
Türkische Medien zum Fall Tuğçe A. „Der serbische Schlächter“
Auch in den türkischen Medien schlägt der Tod von Tuğçe A. hohe Wellen und ist ein Thema auf den Titelseiten. Wie so oft bei solchen Fällen üben sie wenig Zurückhaltung. „Sie haben die mutige Türkin umgebracht“, steht über einem Bild der 22-jährigen Studentin in der Zeitung „Posta“. Dazu ist ein kleines Bild des mutmaßlichen Täters eingeklinkt mit der Bildunterschrift: „Der Mörder Senal M.“. „Takvim“ wählt erst gar nicht die eigentliche Nachricht als Überschrift, sondern schreibt: „Der serbische Schlächter“ über ein kleines Foto von Senal M. Auf den Internetseiten der großen Tageszeitungen wie „Habertürk“ oder „Hürriyet“ sind große Bilder vom Täter abgebildet, die ihn in die Kamera grinsend zeigen. Sie machen sich erst gar nicht die Mühe, das Bild zumindest zu verpixeln – genauso wenig wie die „Bild“-Zeitung . (27.11.2014, Frankfurter Rundschau)
Die „Bild“-Zeitung veröffentlichte allerdings mittlerweile nicht nur ein unverpixeltes Bild des Täters, sondern auch das Tatvideo:
Wie die Medien Tuğçe zum zweiten Mal opfern
Das Schicksal von Tuğçe Albayrak bewegt und empört die Nation. Selbst öffentlich-rechtliche Medien publizieren private Fotos aus den glücklichen Tagen der getöteten Studentin, nicht nur die Bild-Zeitung feiert sie als Heldin. Dabei veröffentlichte das Boulevard-Blatt sogar ein Überwachungsvideo vom Tathergang. Das verstößt nicht nur gegen den Pressekodex, meint Markus Kompa. (9.12.2014, Legal Tribune Online)