von Johannes Herbst
Vergangenen Donnerstag wurde im Museum für Gegenwartskunst der Ausnahmezustand ausgerufen beziehungsweise eher besprochen. Im Rahmen der Tagung „ Szenarien der Ausnahme in der Populärkultur“, die vom 17.-19. September stattfand, las die österreichische Autorin Kathrin Röggla aus ihrem 2010 erschienen Erzählband „die alarmbereiten“.
Die große Glasfront des Seminarraums im hinteren Teil des Museums war besprenkelt von Regentropfen. Herbstwetter und um 19 Uhr war es bereits dunkel. Im Raum selbst strahlten die Neonröhren taghell, für meinen Geschmack ein wenig zu hell. Richtige Lesungsatmosphäre wollte nicht aufkommen, auch wenn die Stimmung in den trockenen vier Wänden ansonsten gut war. Hauptsächlich waren die Teilnehmer der Tagung anwesend, die offensichtlich noch Gesprächsbedarf hatten. Doch es fanden sich auch Leute ohne Namensschildchen unter den Gästen. In die Mitte der klassischen Hufeisensitzordnung wurden noch Stühle aufgestellt und der Raum war angenehm gefüllt. Ein Kameramann inklusive mächtiger Gerätschaft hatte sich ebenfalls in Position gebracht. Hoher Besuch, so schien es, an diesem tristen Donnerstagabend in Siegen. Immerhin ist die aus Salzburg stammende und in Berlin lebende Autorin Röggla vor Kurzem erst zur Vizepräsidentin der Akademie der Künste in Berlin gewählt worden und auch sonst muss sie sich nicht verstecken, was ihre literarischen Erfolge und Preiseinheimsungen angeht.
Als sich Frau Röggla mit den schulterlangen, braunen Haaren nach vorne begab und setzte, liefen die letzten Gesprächsfetzen aus und die Stühle bekamen ihre Relevanz. Ich selbst hatte Kathrin Röggla vorher nicht erkannt, als sie noch in einem der Gesprächskreise rotierte, obwohl ich doch ihr Foto aus dem Buch “really ground zero“ kannte. Dieses Buch war ein Grund, warum ich die Chance auf jeden Fall wahrnehmen wollte, an diesem Abend dabei zu sein. In „really ground zero“ erstellt Röggla eine authentische Collage der Geschehnisse vom 11. September 2001 und dessen Auswirkungen auf den amerikanischen Alltag. Mit Bildern und einer sehr eigenwilligen typographischen Anordnung des Textes, der an die Bewegung der zusammenstürzenden Twin Towers erinnert, schafft sie noch eine andere, multimediale Interpretationsebene, die ich besonders überzeugend fand. „die alarmbereiten“ kannte ich nur vom Hörensagen und wusste dass es wieder nicht den üblichen Lesegewohnheiten entsprechen sollte. Ich war gespannt!
Doch bevor Kathrin Röggla anfing, durfte ich noch in den Genuss der rhetorischen Fähigkeiten von Prof. Dr. Ralf Schnell kommen, den ich ebenfalls nur vom Hörensagen kannte. Gekonnt eloquent leitete der ehemalige Rektor der Universität Siegen die Lesung ein, stellte Röggla und ihre Werke vor. Dann kam die Autorin selbst zu Wort. Drei Figuren wollte sie uns in den zu lesenden Abschnitten näher bringen und begann auch direkt mit der ersten. Die ersten Zeilen begannen mit einer indirekten Rede im Konjunktiv, jemand erzählte, wie jemand anderes über ihn sprach. Ungewöhnlich. Doch es blieb nicht bei den ersten Zeilen, dieser Stil zog sich über alle drei Erzählungen, die Röggla für diesen Abend wählte, hinweg. Tempohaft, aber ohne wirklich eine konkrete Handlung voranzutreiben wurde über die Protagonisten berichtet, wie gesagt immer indirekt und im Konjunktiv. Das Thema, das alle drei verband war die nahende Katastrophe beziehungsweise die Angst davor. Aber auf jeweils völlig verschiedenen Ebenen: In „die ansprechbare“ eine Frau, die die kommende Katastrophe in einer Art „natures revenge“-Vorstellung sah. Epidemien, Naturkatastrophen und der Mensch als Verursacher dieser. In „der übersetzter“ dann die nicht abschwellende finanzielle Krisen, die die Protagonisten umtreibt . Ein großer Hai und ein kleiner Fisch schwammen hier im Röggla eigenen Stil durch das Finanzbecken. Für mich stellte allerdings eine Mutter, die die Katastrophe in ihrem Kind sah, den imposantesten Teil der Lesung dar. In „die erwachsenen“ muss die Mutter ihr durch die Rhetorik der Katastrophe „infiziertes“ Kind vor dem versammelten Elternabend verteidigen. In jeder Abweichung des Kindes steckte das Böse. Kein Entkommen aus diesem Zustand, selbst die Kinder sind schon die Katastrophe und werden mit diesen Vorstellungen sozialisiert. Kein Ausweg also. So zumindest meine Interpretation des Vorgetragen.
Persönlich fand ich es ein wenig schade, dass die Lesung doch recht kurz war. Die anschließende Diskussion wurde offen geführt und trotz des bereits langen Tagungstages waren doch fast alle Teilnehmer noch aktiv dabei. Es wurde über die Zäsur des 11. Septembers gesprochen und wie sich diese von den Gefahrenszenarien der 80er Jahre, wie beispielsweise dem Kalten Krieg oder Tschernobyl unterscheidet. Natürlich war auch die Sprache und der Stil Rögglas Thema der Diskussion. Auch das gegenwärtige Thema der Flüchtlinge konnte auf die Thematik des Ausnahmezustandes übertragen und diskutiert werden.
Alles in allem war es ein sehr angenehmer Abend im Museum für Gegenwartskunst. Ich werde mich definitiv in Alarmbereitschaft versetzen und mich kritischer mit der mediengemachten Panikmache auseinandersetzten. Rögglas Erzählband „die alarmbereiten“ bietet dafür sicher eine gute Gelegenheit und nach der Lesung ist meine Interesse für die österreichische Autorin erst recht geweckt. Nur hätte ich mir für diesen Abend noch einen weiteren Leseabschnitt nach der Diskussion erhofft. Das Gute daran war, dass ich noch die letzten Leser der Ping-Pong-Lesung hören konnte, die parallel im Vortex stattfand.