von Marius Albers
Der Ökonom Hans-Werner Sinn, gerade in seinen letzten Amtswochen als Leiter des ifo-Instituts (Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung) und regelmäßiger publizistischer Beiträger etwa zur Eurokrise, hat nun der Frankfurter Neuen Presse ein Interview zur Flüchtlingssituation gegeben. Was er dabei gesagt hat, sollte in keinem Fall unkommentiert bleiben, gerade auch wegen der großen Popularität des Interviewten und der damit verbundenen Reichweite seiner Äußerungen.
Befragt nach den Ursachen der aktuellen „Völkerwanderung“ greift er zunächst das Motiv der so genannten Wirtschaftsflüchtlinge auf: „Die Wanderung erklärt sich durch die Verbreitung der Informationen über die Lebensweise in Europa durch das Fernsehen.“ Die „lasche Politik der Grenzsicherung seitens der EU“ habe dabei letztendlich „eine Lawine ausgelöst.“ Doch ganz offensichtlich geht es hier nicht um Fluchtursachen. Genau wie der EU-Einsatz gegen Schlepper nicht an den Ursachen ansetzt, so blendet auch Sinn aus, dass etwa die Konflikte in den mittlerweile zahlreichen Krisenregionen der Welt nur weiter befeuert werden. Und der einzige Effekt des „Krieges gegen den Terror“ ist weiterer Terror, der wiederum neue Flüchtlinge „produziert“. Die deutschen Waffenexporte in die Krisenregionen leisten dazu ebenfalls ihren Beitrag. Auch die wirtschaftliche Ausbeutung der armen Regionen der Welt wird dies weiter verschlimmern, ein mögliches Freihandelsabkommen wie TTIP wird diese Situation nur verschärfen. Für den Ökonomen freilich, dessen oberstes Ziel offenbar Gewinn und Wachstum um jeden Preis ist, ist das Elend der anderen wohl nur ein notwendiges Übel.
Die, wie Sinn sagt, „vermeintlichen Flüchtlinge“ müssten unbedingt gestoppt werden. Man solle ihnen in ihrer Heimat oder den dortigen Nachbarländern helfen, „wo sie in Sicherheit sind.“ Wie gesehen, wird die Situation dort aber eher schlimmer. Aber gleichzeitig sollen nicht alle wegbleiben: „Dessen ungeachtet braucht Deutschland aus demografischen Gründe gut ausgebildete Wirtschaftsemigranten, die es sich nach einem Punktesystem aussuchen sollte.“ Im Klartext: Wir wollen nur diejenigen, die uns bei der Wahrung unseres Wohlstandes unterstützen können. Hier spricht offenbar ein skrupelloser Ökonom, der sich wenig um das Leid derjenigen Menschen kümmert, die nicht zum Wachstum der hiesigen Wirtschaft beitragen können.
Nach dieser umsichtigen Analyse der Fluchtursachen geht es um die Folgen für Deutschland. Ganz der Ökonom, warnt er vor einer großen Belastung für den Sozialstaat und zitiert den Experten Raffelhüschen, der berechnet haben will, „dass eine Million Flüchtlinge Deutschland auf die Dauer Kosten verursachen, die einer Staatsschuld von 450 Milliarden Euro entsprechen.“ Es wäre schön zu wissen, von welcher Dauer hier die Rede ist. Dass allein in den vergangenen acht Jahren über 200 Milliarden für die Bankenrettung bezahlt wurden (und trotzdem Schäubles heilige schwarze Null steht!), ist fraglich, ob die Angabe dieser Zahl etwas anderes ist als bloße Panikmache. Das Katastrophenszenario führt er gleich weiter, wenn er nämlich von den 1,1 Milliarden Menschen in Afrika spricht, wo zahlreiche Bürgerkriege geführt werden. Sollen wir nun Angst davor haben, dass all diese Menschen hierher kommen?
Schlimm ist, dass Sinn hier die Flüchtlinge als Problem für den Sozialstaat darstellt und behauptet, dass die Ungleichheit im Lande dadurch anwachsen würden. Dass der Sozialstaat zurückgefahren wird, ist jedoch keineswegs eine Erscheinung im Zuge der Flüchtlingssituation, sondern ein seit langem andauernder Prozess. Darüber hinaus plädiert Sinn dafür, den Mindestlohn wieder abzuschaffen, wenn man Flüchtlinge beschäftigen möchte, da es sonst für Unternehmer nicht mehr rentabel sei. Hier geht es also offensichtlich nicht um die Menschen, sondern bloß um wirtschaftliche Interessen. Auf der anderen Seite weist er darauf hin, dass die Flüchtlinge zu wenig Geld in die Kassen einzahlen. Bestechende Logik. Mit dieser Argumentation liefert Sinn bloß eine verquere Rechtfertigungsstrategie für weiteren Sozialabbau und gleichzeitig neues Futter für rechtspopulistische Strömungená la AFD. Wo da der Sinn liegt, muss man sich wirklich fragen.
Lesehinweise:
Zur aktuellen Flüchtlingsdebatte: http://www.nachdenkseiten.de/?p=32190
Hier das kommentierte Interview: http://www.fnp.de/nachrichten/politik/Fluechtlinge-verschaerfen-Probleme-des-alternden-Sozialstaats;art673,1913610