Von Michael Fassel
Ein schriller, bunter Karneval unter der Julisonne. Vom Himmel landet kein erfrischender Regentropfen auf der verschwitzten Stirn, sondern nur Konfettiblättchen. Aus den Lautsprechern dröhnen Höhners Viva Colonia oder Techno-Versionen aktueller Charts. In jedem Sommer versehen zahlreiche Medien die Berichterstattung über den Christopher-Street-Day (CSD) mit Adjektiven wie laut, bunt und schrill, einige seriösere Tagesblätter nennen es gediegen „ausgelassene Stimmung“. Manchmal schwingt der Vorwurf nach zu wenig politischen Botschaften und zu viel Kommerzialisierung mit. Steckt nicht hinter jeder gendergrenzüberschreitenden Verkleidung eine politische Aussage? Und welche großen Events sind heutzutage nicht kommerzialisiert?
Die kurzen Artikel werden (nicht in allen Zeitungen) mit Fotos versehen, die vor allem den farbenfrohen Eindruck unterstreichen, wenn etwa leicht bekleidete Menschen von einem Demonstrationswagen die Regenbogenfahne schwenken oder in sehenswerten Kostümen durch die Stadt ziehen. Dass solche Bilder ein Foto wert sind, ist keinesfalls zu bestreiten, denn sie zeichnen den CSD aus, gestalten ihn mit. Doch die Berichterstattung suggeriert einen Karneval im Sommer und übersieht jene Momente, die möglicherweise nicht die Aufmerksamkeit aller auf sich zieht wie zum Beispiel die „Lichter gegen das Vergessen“. Da wird es Samstagabend gegen 22 Uhr 30 auf dem geselligen Stände- und Straßenfest am Heumarkt still, wenn die Kölner Bürgermeisterin Elfie Scho-Antwerpes gemeinsam mit den Besuchern des Cologne Pride an diejenigen Menschen gedenkt, die an AIDS gestorben sind. Während ihrer emotionalen Rede, die ihr selbst Tränen in die Augen treibt, schalten die Getränkestände und Wurstbuden ihre Lichter aus und der Heumarkt verwandelt sich in ein Meer aus Kerzen, die zuvor gegen eine kleine Spende verteilt worden sind. Das schrille Treiben ist plötzlich weit weg, selbst das letzte Gemurmel verebbt in den Gedenkminuten. Stille. Und das war nur ein Beispiel, das keinesfalls den Eigenschaften laut, bunt und schrill entspricht. Vielleicht sollte der ein oder andere Reporter doch mal bis zum Ende bleiben, um ein umfassenderes Bild des Christopher-Street-Days zu präsentieren.