Die Katze meiner Schwester und ich

von Andreas Hohmann

– Für meine Schwester und ihre Katze: Weil ihr nie aufhört, mich zum Lachen zu bringen.–

Immer wenn ich die Katze meiner Schwester ansehe und sie mich dann aus ihren unergründlichen und geheimnisvollen Augen zurück anstarrt, bin ich mir sicher: In ihnen liegt nichts Geringeres als die gesamte Weisheit des Universums verborgen. Und ich bin mir jedes Mal sicher, dass sie und ihresgleichen viel intelligenter sind als wir Menschen. Wir geben uns der Illusion hin, den Tieren überlegen zu sein, weil wir – durch Bewusstsein vom reinen Triebleben abgespalten – uns über unser Affenstadium hinweg gesetzt, Werkzeuge entwickelt haben, um unser Leben zu verbessern, und, und, und. Und dann kamen wir auf die Idee, uns Katzen als Haustiere zu halten. Was wir nicht wussten: Katzen haben – anders als Hunde – keine Herrchen oder Frauchen, sondern halten sich Sklaven und Leibeigene, von denen sich manche in ihrer Gegenwart benehmen wie psychokonditionierte Niedlichkeitsfetischisten: totpeinlich und bar jeder Selbsterkenntnis. Für junge Katzen ist das natürlich ein herber Schlag.
Und außerdem der Grund, aus dem sie uns insgeheim nie aus den Augen lassen und – um sich untereinander schnell den aktuellen Lagebericht über den Entwicklungsstand ihrer Diener (pardon: Sklaven) geben zu können – eine hochkomplexe Sprache entwickelt, mit der sich unglaublich differenzierte Aussagen in wenigen Lauten transportieren lassen.
Manchmal, wenn ich die Katze meiner Schwester streichele, frage ich mich, ob sie uns wohl gerade in diesem Augenblick genau so sehen und was (für uns so simpel klingende) Laute wie „Meowww“ oder „Miau“ wohl wirklich ausdrücken. Ein Urteil, das – man mag es inzwischen vielleicht vermuten – aus gewissen Gründen nicht allzu schmeichelhaft ausfällt, wenn ich mir selbst zuhöre … manchmal zumindest.

… oder … gelegentlich?

… des Öfteren?

… traurigerweise aber öfter, als mir lieb ist?

… in frappierender Häufigkeit?

… ja, okay, eigentlich immer. Doch ich meine das nur liebevoll! Nun, was mag die Katze denken? Nachfolgend ein Gespräch – das selbstverständlich zu 100 Prozent frei erfunden ist und nichts, aber auch rein gar nichts mit der Wirklichkeit gemeinsam hat!

*

Jedenfalls: Man stelle sich vor, wie ich den Raum betrete, die Katze anblicke und in einem Tonfall, der mir aufgrund seiner schieren Höhe als Mann unter normalen Umständen einfach nur unfassbar peinlich wäre, von mir gebe: „Ja, Smoky! Ja, hi!“
Und die Katze denkt sich nur: Oh nein, nicht schon wieder dieser Typ! Da kommst du in eine neue Familie, raus aus dem alten Zuhause mit meinen zehntausend Geschwistern und meiner Mutter, du freust dich auf anregende Gespräche mit neuen Leuten – denn immerhin hat diese neue Familie vier Mitglieder: meine neue Katzenmami, die die Jüngste in dem Wurf zu sein scheint, ihr angeblich so intelligenter Bruder, und die Eltern – und stattdessen gerätst du an diese minderbemittelten Zweibeiner, von denen einer schräger ist als der nächste. Vor allem die beiden jüngeren kommunizieren ständig mit merkwürdigen … Geräuschen … mit mir!
Der Alte quäkt ständig: „Ahhh, Sti-hink!“ In genial-danebener Aussprache: „Ahhh, se Kät!“ Oder piratenmäßig: „Arrr, Ratte!“
Die Katzenmama in astronomisch hohem Falsett: „Ich möchte dich fressen, so süß bist du!“
Aber am schlimmsten ist ihr großer Bruder! Mal ehrlich: Welcher halbwegs gescheite Mensch kommt denn rein, grinst dich an, geht auf dich zu und ruft mit diesem unfassbar peinlichen Quietschlaut: „Pooochie, du schönes Tier!“ Da dreht sich jedesmal mein Trommelfell auf links! Von meinem anderen Fell ganz zu schweigen …
Gleichzeitig setzt sich der verbale intellektuelle Ausfluss von meiner Seite aus fort: „Du süße Maus, du!“
Nein, Mensch. Katze, nicht Maus. Katze! K-a-t-z-e.
„Chou-chou!“
Was – was stimmt denn nicht mit dir?! Chou-chou?!?! Was bin ich? Thomas die Lokomotive?!
„Du süße kleine Maus, du! Manchmal glaube ich, du verstehst alles, was ich sage.“
Manchmal wünschte ich, es wäre andersrum genauso. Zumindest in einem von tausend Fällen.
„Du bist so eine clevere kleine Katze!“
Now you’re talking! Zeit, das Niveau hochzuschrauben. Hey, Zweibeiner, wir spielen jetzt Intelligenz-Hochsprung, okay? Bei der Vorstellung geht’s mir gleich viel besser. Sag mal, Mensch, wusstest du, dass die Ägyptologen alle falsch liegen, und dass die Pyramiden von Gizeh eigentlich aus einem völlig anderen Grund gebaut worden sind?
„Poochie, du schönes Tier! Ich könnte dich den ganzen Tag knuddeln, und am Ende hätte ich immer noch Spaß dran.“
Hör endlich mit diesem Idiotentonfall auf! Und – was …? Lass es! Hey! Aufhören, Mensch! Aus! Zieh die Griffel ein!
„Hmmmm, so eine schöne kleine Katze!“
Verdammt nochmal, jetzt hör doch endlich mal zu, wenn ich dir was erzählen will! Ich probiere es mal mit Schnell-hintereinander-mauzen.
„Ohh, hast du heute wieder viel zu erzählen, du süße kleine Maus!“
Ja, genau, endlich hast du’s kapiert! Jetzt hör zu: Das Geheimnis des alten Ägypten, die Weisheit der schwarzen Löcher, der See von –
„Poochie!“
Jetzt reicht’s! Naarrrrrrrgh!!!
„Aua, nicht beißen! Verdammt, die Katze dreht schon wieder durch!“