Kathrin Wagner kommentiert Thomas Marbachs Text „Sexismus“
Sextremismus macht Angst. Vor allem dem männlichen Geschlecht.
Sextremismus macht Angst. Vor allem dem männlichen Geschlecht. Die Provokation der Femen durch Oben-Ohne-Aktionen kommt nicht bei jedem gut an. Warum? Der männliche Blick, der die Frau als Fragment wahrnimmt, wird durch die weibliche Nacktheit natürlich auf die Brust gelenkt – aber seine Skopophilie wird enttäuscht, denn statt zwei prallen, glänzenden, im Rhythmus des Ganges wippenden Brüsten wird er von politischen Aufforderungen abgelenkt und irritiert. Stichwort: Kastrationsangst!
Die Aktionen polarisieren, das heißt die Leute sprechen darüber – Transparente sind heute nicht mehr extrem genug und einfach zu ignorieren. Die Werbung, Filme oder Fotokampagnen verkorksen die Gesellschaft. Frauen werden viel zu häufig als Objekt dargestellt, welches vom männlichen Subjekt kontrolliert wird. Auch 2014 hat sich daran nicht viel geändert, auch wenn viele Stimmen sagen: „Ach was, wir sind doch nicht mehr davon betroffen. Frauen sind gleichberechtigt – geh mir weg mit deinem #aufschrei.“ (https://twitter.com/hashtag/aufschrei?src=hash) Pustekuchen!
Madonnas Masturbationsperformances und skandalträchtige Videos jucken heute doch niemanden mehr. In Zeiten von „2 Girls 1 Cup“ haben wir doch schon alles gesehen. Wie also aus der Masse hervorstechen? Eigentlich einfach, aber trotzdem genial – die weibliche Sexualität nutzen, um dem Patriarchat zu zeigen, was falsch gemacht wird. Es sind ja nicht nur die Männer, die geschockt sind, auch die Medien nehmen die Femen gerne ins Programm, denn wir alle und auch die Femen wissen: sex sells! Der Beitrag ist den Damen in den 20-Uhr-Nachrichten sicher, die Protestform ist aber aufregend genug, dass auch RTL2 News darüber berichtet und auch die BILD holt die Femen aufs Titelblatt. Weiter unten: das Bild-Girl. Im direkten Vergleich sollte man den Unterschied der Darstellungsformen erkennen. Trotz medialer Aufmerksamkeit, polarisierender Aktionen steht die Message der Femen weiterhin im Vordergrund. Gut geplant von diesen Femen, die doch einfach nur ihre Bluse aufmachen.
Klassischer Feminismus und der durch die Femen betriebene Feminismus sind doch keinstenfalls zu gleichzustellen. Warum auch? Sie stellen eine neue Bewegung dar. Eine radikalere und vielleicht auch aufdringlichere. Dafür eine moderne und wirkungsvolle. Alle Feministinnen als Femen darzustellen ist falsch. Das wäre so, als würde man alle Linken als linksextrem oder Veganer als extreme Ökos darstellen.
„[…] Jene ontologisch gefestigten Phantasmen „Mann“ und „Frau“, sind theatralisch produzierte Effekte, die als Grundlagen, als Originale, als normatives Maß des Realen posieren“ (Quelle: http://www.emma.de/artikel/sexualitaet-identitaet-ueber-die-dekonstruktion-der-geschlechter-oder-die-freiheit-zwischen) – Geschlecht ist also durch die Kultur konstruiert. „Man ist nicht als Frau geboren, man wird es.“ (Simone de Beauvoir) um mal zwei wichtige Vertreterinnen des Feminismus zu zitieren. Um diese Zitate noch eindringlicher zu verdeutlichen ein alltagsnahes Beispiel: Am Strand liegt der Mann oben ohne. Die Frau muss einen Bikini tragen, ansonsten muss sie zum FKK-Bereich. Oder: Wenn Männer Oberkörperfrei auf der Baustelle malochen oder mit Bier vorm Grill sitzen, mag das gegebenenfalls nicht besonders ästhetisch sein aber aufregen tut sich da niemand drüber. Mit Frauen wird da schon härter ins Gericht gegangen.
Warum ist die (nackte) weibliche Brust also so sexualisiert? Weil sie die Weiblichkeit verkörpert? Das hinkt. Denn ist eine Frau nur weiblich, wenn sie auch Brüste hat? Was ist dann mit den armen Männern, die einen hormonellen Überschuss haben und auch Brüste? Sind die dann auch weiblich? Oder was ist mit Frauen, die an Brustkrebs leiden und deswegen ihre Brüste abnehmen lassen mussten? Ist es nicht eigentlich viel mehr an der Zeit eine Dekonstruktion der Geschlechter anzustreben? So wie das eben Simone De Beauvoir schon 1949 in „Das andere Geschlecht“ oder Judith Butler in „Gender trouble“ verlangten?
Die neue feministische Bewegung spielt mit diesen Konstrukten. Ganz neu auf dem Markt für jede, die sich nicht traut, blank zu ziehen, aber dennoch ein Statement setzen will: The Tata Top. Mit diesem Bikinioberteil kann man quasi topless am Strand entspannen und sich ins Fäustchen lachen, über die irritierten und vielleicht auch wertenden Blicke der Menschen, die schlussendlich nur die Kleinbürgerlichkeit verdeutlichen. Selbst die Farbe der Nippel ist anpassbar, um die Authentizität zu wahren. Die neuen Feministinnen haben also Humor oder wissen sich zumindest zu helfen.
Ich demonstriere nicht gegen Cannabis mit einem dicken Joint im Mund. Ich demonstriere nicht gegen Fastfood, indem ich das esse. Nunja, Fastfood und Drogen mit Feminismus zu vergleichen ist recht interessant. Das sind dann die berühmten Äpfel und Birnen, die versuchen jegliche Argumentation der Gegenseite im Keim zu ersticken. Aber wie war das noch mal in der Dokumentation „Super High Me“ oder vielleicht besser noch „Super Size Me“? In Deutschland zeigt beispielsweise das Jenke-Experiment, welche Folgen Alkoholmissbrauch oder andere gesellschaftliche (Tabu-)Themen haben. Also sehr wohl Verdeutlichung negativer Auswirkungen durch Eigentests.
Wer liest denn heutzutage noch Texte über Feminismus? Die wenigsten, wir sind durch den Google Keynote verseuchten Onlinejournalismus zu faulen Wesen mutiert, denen die Konzentration fehlt, um sich durch knapp 1.000 Seiten „Das andere Geschlecht“ zu beißen. Also muss ein aktiver Protest her. Denn im Jahr 2014 gibt es nach wie vor gesellschaftlich relevante Themen und Probleme, die nicht immer wieder unter den Teppich gekehrt werden dürfen.
Feminismus ist für mich nicht, in einem Büro zu sitzen und in alles Sexismus rein zu lesen, denn nicht überall ist Sexismus da, wo in die Feministinnen Nase zu riechen vermag. Künstler und Künstlerinnen provozieren beispielsweise mit sexistischen Texten – was ist mit Lady Bitch Ray? Über Geschmack lässt sich streiten, aber sie versucht mit ihren harten Texten die Tabuisierung etwaiger Begrifflichkeiten zu brechen. „Du meinst dass du mich disst, nennst du Ficker mich Bitch? Junge die Wahrheit ist – Ich bin ne Bitch! Bitch ist für mich en Trend, für mich ein Kompliment, Junge du bist verklemmt!“
Wer hat das Recht, mir vorzuschreiben wie ich zu leben, zu reden oder mich zu kleiden habe? Wenn ich das Bedürfnis habe meine Brüste zu zeigen – so what. Wenn ein Mann sich daran erfreut – so what. Wenn ich damit auf Problematiken aufmerksam machen kann – umso besser. Warum nicht mit dem männlichen Blick spielen? Warum immer nur brav im Kämmerchen sitzen, am besten in der Küche und darauf warten, dass irgendwann wie von selbst eine Gleichberechtigung eintritt? Natürlich sollte man sich darüber informieren, für was die Femen eintreten; ob man sich damit thematisch immer zu 100 Prozent identifizieren kann, ist fraglich. Grundsätzlich ist es aber gut, auf einen verrückten Körperkult, der die Marke „Abercrombie&Fitch“ jetzt dazu brachte, die Kleidergröße „Triple Zero“ auf den Markt zu bringen, aufmerksam zu machen. Es ist sinnvoll, Großveranstaltungen wie „Germanys Next Topmodel“ zu stürmen, weil dort ein verqueres Körperbild, vor allem an junge Mädchen, vermittelt wird. Die Art und Weise mag dem ein oder anderen aufstoßen, aber es scheint in einer sexualisierten Gesellschaft wie der unseren nicht mehr anders möglich zu sein, auf Themen aufmerksam zu machen.
Gleichberechtigung ist wichtig. Es darf kein Patriarchat geben aber eben auch kein Matriarchat. Wir sollten an einem Strang ziehen und nicht unsere Kräfte beim Gender-Tau-Ziehen vergeuden. Frauen die sich an Männern rächen, weil sie jahrelang unterdrückt worden sind, empfinde ich als genauso schlimm, wenn auch nachvollziehbarer, wie Männer die aus purer Langeweile ihre Ehefrau unterdrücken. In den Köpfen scheint die Frau immer noch das kleine, schwache Geschlecht zu sein, das sich nicht ernsthaft gegen den Mann durchzusetzen vermag. Schwachsinn.
Apropos Schwachsinn: „Wieso machen diese Femen anstatt ihrer Fresse ihre Bluse auf?“ – Falsch! Femen machen eben nicht nur die Bluse auf. Es steckt ja viel mehr dahinter als die Oben-Ohne-Proteste. Vielleicht führen sie keine Diskurse. Sie treten aber Diskussionen los. Sie konfrontieren uns mit Themen, die wir so nicht sehen (wollen). Das sind neben falschem Körperkult, Genitalverstümmelung, Kinderhandel, häusliche Gewalt, menschenunwürdige Arbeitsbedingungen, aber auch politisches Versagen, wie beispielsweise die Politik Putins. Es geht also um Menschenrechte. Dafür kann man natürlich auch anders einstehen. Es wäre nämlich so viel einfacher, ein Bild auf Facebook zu teilen und damit den „Freunden“ zu zeigen, hey – ich gestalte aktiv die Welt mit. Leider nein, ein geteiltes Bild auf Facebook bringt keine ernstzunehmende Aufmerksamkeit, auch wenn es den Hunden in der Ukraine sicher schlecht geht und es mir leid tut, dass sie abgeschlachtet worden sind für ein Fußballevent. Geht doch einfach mehr auf die Straße; steht für eure Meinung ein und bitte glaubt nicht, dass ein geteiltes Bild auf Facebook irgendwo etwas ändert.