Eine kleine Weihnachtspredigt

von Tom Farnschläder

Meine lieben Brüder und Schwestern im Konsum,
es weihnachtet* sehr in unserer christlichen Hood und ich
komme nicht umhin, zu bemerken, dass der Business ordentlich
brummt.
All der Schund und Ballast, der sich über das ganze Jahr in
den Läden unseres Einzelhandels aufgestaut hat, wird nun in
einem reinigenden Prozess als Angebot getarnt und mithilfe
findiger PR-Fuzzies geschickt vermarktet an den Mann, die
Frau oder die Transsternchenperson gebracht.

Ich sehe viele Gesichter:
Einige sind traurig, weil sie gleich mehrere Tage mit jenen
Menschen verbringen müssen, mit denen sie abgesehen vom
Erbgut nichts zu teilen scheinen; mit jenen, die sie durch
ewiges Genörgel in den Alkoholismus oder zu Selbstmordgedanken
treiben.
Andere wirken fröhlich, vor allem aufgrund der Vorstellung,
durch das Erhalten der neuesten Unterhaltungselektronik
an Weihnachten ein Plusgeschäft in der persönlichen
Bilanz verzeichnen zu können.
Ich für meinen Teil hoffe, ich bekomme ’ne Nintendo Switch.
Für das Product Placement bekomme ich kein Geld**, ich find‘ das Teil einfach nur rattenscharf.

Aber die Weihnachtszeit ist nicht nur eine Zeit des Nehmens –
sondern auch eine des Gebens.
Oh, kriege deinen Arsch hoch und kaufe Geschenke! Schon
der liberale Prophet Christian wusste: Die To-Do-List erledigt
sich nicht von alleine.
Oder sammle zumindest die – in einer hektischen Zeit mangelnde
– Kraft auf, deinen PC hochzufahren, dem Kirchengeläut
des größten Onlinehandels zu folgen und Jeff Bezos die
fette Kollekte in seinen Hals zu schieben. Gepriesen sei Amazon!

Und es ist eine Zeit des Teilens. Vergesst nicht, auch dem
letzten Menschen – ja selbst dem, den ihr so stark verachtet
und über den ihr hinter seinem Rücken erzählt, er sei ein
schlechter Mensch – mitzuteilen, welch tolle Geschenke ihr
von euren Liebsten erhalten habt und wie sehr der Versuch,
eure Liebe zu kaufen, von Erfolg gekrönt war.

Höre ich ein HAULeluja?
In diesem Sinne entlasse ich euch zu Präsenten, Pflaumenschnaps
und Prostituierten.
Möge der Cash flowen und die Schuld geleistet werden.

Im Namen der Banken, der Unternehmen und des konsumierenden
Pöbels:
Am€n.

Bevor ich euch entlasse, werden wir noch das „Geld unser“
sprechen und gemeinsam ein Lied singen; ein Lied, das uns
den Geist der verschollenen Weihnacht zurückholen und
uns in eine behagliche, gemütliche Stimmung versetzen
soll. Schaut bitte im Textbuch auf Seite 3.
Wir singen: Got Money.

Diese Predigt wurde Ihnen präsentiert von Nintendo.
Nintendo: Wo Kinderträume wahr werden.

*oder weihnachtete. Keinen blassen Schimmer, wann das Magazin
erscheint. Get over it. Geschenke umtauschen nicht vergessen!
**Doch.

 

Hinweis: Tom schreibt für den „Goldenen Schuß“ – die nächste Ausgabe erscheint Ende Januar. Augen aufhalten!