Heitere und nachdenkliche Töne – und die Sehnsucht nach Italien

Eine Rezension zu Jörn Hellers Lyrikband „Gute Gedichte und solche, die es gerne wären“

von Michael Fassel

„Gute Gedichte und solche, die es gerne wären“ – so lautet der jüngst erschienene Gedichtband von Jörn Heller. Schon hinter dem Titel verbirgt sich eine erfrischende Ironie: Nicht jedes Gedicht ist per se gut, will aber gerne gut sein. Das endgültige Urteil darf sich schließlich das Lesepublikum machen. Oder auch die LiteraListen, die gerne mal eine Leseempfehlung geben.

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Aufgeteilt ist der Band in sieben Abschnitte, die jeweils eine spezifische Sammlung an Gedichten enthalten. Es gibt unter anderem Nachdenkgedichte, Spaßgedichte, aber auch Italiengedichte. Jörn Heller hat auf kreative Weise eigene Sub-Genres innerhalb der Lyrik erschaffen. Vom Autor selbst kreierte Illustrationen leiten geschmackvoll in die einzelnen Gedichtkapitel ein. Die Liebe zum Detail wird hier schon augenfällig und lässt erwarten, dass er mit Worten genauso differenziert umgeht.

Die Gedichte sind größtenteils kurz, entfalten aber durch die gelungene Komposition von Worten, Versen und Reimen eine beachtliche Wirkung: „Wandernd auf bekanntem Wege/ in gesichertem Gehege/ immer in derselben Spur/ bewegst du dich im Kreise nur.“ Allein in diesem Vers aus dem Gedicht Wunderprognose dürfte sich aufgrund seiner sprachlichen Klarheit, aber auch das Erahnen einer verborgenen Botschaft jeder Leser mehr oder weniger wiedererkennen. Zwei Seiten weiter scheint es, als setze das Gedicht Niemals! die Botschaft fort: „Wolle niemals, was nach Ansicht/ anderer du wollen solltest!/Folge dem, was du schon immer/ tief im Innern sollen wolltest!“ Ohne Pathos gelingt hier ein Lobgesang auf Selbstbestimmung und Individualität. Und gleichzeitig rutschen die Verse nicht ins Abstrakte ab, sondern sind durch die bildliche Sprache ausgesprochen konkret.Das mag an der klaren Sprache liegen.Die zugänglichen Verse dienen dazu, von den Lesern mit ihren subjektiven Erfahrungen und Wünschen gefüllt zu werden.

Das Kapitel „Spaßgedichte“ zeigt eine völlig andere Färbung. Eröffnet wird es mit dem unterhaltsamen Gedicht Mumienansicht: „Die Mumie im Sarkophag/ die träumt seit Jahren Tag für Tag/ ganz heimlich vom Verwesen/ Sie fühlt, seitdem durch ihre Haut/ allmählich das Gerippe schaut/ sich wie ein alter Besen.“ Während die humorvollen Gedichte zum Schmunzeln einladen, tragen die „Menschgedichte“ eine eindeutige Botschaft etwa zur aktuellen Flüchtlingssituation, wie der erste Vers im Gedicht Schönes Europa: „Das Boot ist voll?/ Wessen Boot/ Es gibt kein Soll/ bei Flüchtlingsnot!“ Neben einigen politisch und gesellschaftskritischen Statements – wie beispielsweise das Anprangern der Zeitverschwendung beim exzessiven Computerspielen – kommen vor allem Italienfans und vielleicht solche, die es in der kommenden Feriensaison werden wollen, auf ihre Kosten. Der Autor scheint selbst offensichtlich ein großer Italienliebhaber zu sein: „Ich schwärme für Italien,/ ich liebe dieses Land,/  das Land, das voll Geschichte steckt/ und unbekannte Sehnsucht weckt,/ ich fühl mich ihm verwandt.“

Abgeschlossen wird der Band mit „Andere Gedichte“. In Gedichte I lässt der Autor das lyrische Ich metareflexiv über die eigene Textgattung sinnieren: „Gedichte sind wie kleine Sicherheiten,/ durch die man sich aufs Festland rettet,/ mit denen man in kalten Jahreszeiten/ sich versweise im Warmen bettet.“ Insofern dürfte es verpackt unterm Weihnachtsbaum einen respektablen Platz finden und in ebenso ehrwürdige Hände geraten. Gerade an Weihnachten findet man die Ruhe, um jeden Vers und jedes Wort genüsslich zu lesen. Und wer denkt gerade im Winter nicht gerne an einen Kaffee in Italien, den er morgens mit Blick über ein sommerliches Blumenfeld genießen kann?

Jörn Hellers Gedichtband „Gute Gedichte und solche, die es gerne wären“ bietet ein Potpourri an verschiedenen Gedichten. Mal zum Nachdenken, mal zum Schmunzeln, mal polemisch gesellschaftskritisch. Die Abwechslung, die zugängliche Sprache und die wohldosierten Reime tun so gut und erinnern ein Stückweit an die lyrischen Gedankenwelten von Joachim Ringelnatz oder Erich Kästner. Aber Jörn Heller findet hier seinen eigenen Ton und macht den Gedichtband gerade durch seine Vielseitigkeit einmalig.