Beautiful World, Where Are You

Rezension zu Sally Rooneys Roman Schöne Welt, wo bist du
Von Wiliam J. Mertens

Bereits in Conversations With Friends (2017), dem Romandebüt der irischen Bestsellerautorin Sally Rooney, stehen vier junge Menschen, die ihren Platz im Privat- und Berufsleben suchen und komplizierte Beziehungen untereinander entwickeln, im Zentrum. Ähnlich gestaltet sich die Figurenkonstellation in Rooneys drittem Roman Beautiful World, Where Are You (2021, dt. Titel: Schöne Welt, wo bist du), in der Rooney eine Romanautorin mit Alice Kelleher als eine der Protagonistinnen wählt, ihre Erfahrungen als Schriftstellerin fiktional verarbeitet und einen durchaus kritischen Blick auf den Literaturbetrieb wirft.

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Ein Klassiker neu betrachtet: „Der Graf von Monte Christo“ von Alexandre Dumas

Eine Rezension von Lutz Dehenn

Im Jahr 1815 steht der einfache Seemann Edmond Dantés nicht nur kurz vor seiner  Beförderung zum Kapitän, sondern auch vor der Vermählung mit seiner Geliebten. Doch das bevorstehende Glück wird am Altar zu Nichte gemacht: Auf Grund einer Verschwörung aus Habgier und Eifersucht – der eine trachtet nach Edmonds Karriere, der Andere nach seiner Frau – wird er unschuldig in den Kerker geworfen. Hier verbringt er 16 Jahre seines Lebens. Doch bevor ihm nach dieser schier unendlichen Zeitspanne die Flucht gelingt schließt er eine innige Freundschaft mit seinem Zellennachbar. Der Hauptprotagonist erhält durch jenen nicht nur ein beachtliches Maß an Bildung in Fremdsprachen, Naturwissenschaften, Medizin und Philosophie, sondern verfügt zum Zeitpunkt seiner Flucht auch über das Wissen von einem Schatz von unermesslichen Reichtümern auf der Insel Monte Christo. Den Schatz geborgen lässt sich Edmond satte 9 Jahre Zeit um seinen Rachefeldzug zu planen, der ihn in die Gefilde des Pariser Adels führen wird, wo sich seine Verschwörer inzwischen ein anschauliches Leben durch tückische und unmoralische Methoden aufgebaut haben. Mittels unerschöpflichen Reichtums, universalgelehrter Bildung, in Haft erlernter unerschütterlicher Geduld und einem lang gereiften Plan trachtet der selbst ernannte Graf von Monte Christo nun nach Genugtuung.

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Wenn Milchbauern auf die Barrikaden gehen – Ein Blick in Michel Houellebeqcs neuesten Roman

Rezension zu Michel Houellebeqcs Roman Serotonin 

von Michael Fassel

Das Lenkrad wird heftig nach links gerissen, der Wagen ist gefährlich nah am Abgrund. Der „Befreiungsschlag“ scheitert. Als Beifahrer an der Seite von Florent-Claude Labrouste möchte man sich in diesem Moment nicht wissen. Aber auch ohne dieses riskante, aus einem inneren Impuls gewagte Manöver würde man sich an der Seite des Ich-Erzählers und Anti-Helden in Michel Houellebeqcs neuestem Roman Serotonin nicht wohlfühlen. Der unter Depressionen leidende Mittvierziger hat keinerlei Hobbys und keine Freunde. Ebenso sind seine Beziehungen mit dem weiblichen Geschlecht gescheitert. Beim Lesen überkommt einen das Gefühl, dass suizidale Gedanken wie ein Damoklesschwert über der Hauptfigur schweben.

Handfeste Männlichkeitskrise

Schon zu Beginn klagt der Ich-Erzähler Florent-Claude Labrouste über seinen Vornamen, denn Florent passe sie nicht zu seinen „groben Gesichtszügen“, vielmehr zu einer „bottecellihaften Schwuchtel“ (S. 6). Wie bei Houellebeqc zu erwarten, deutet sich bereits auf den ersten Seiten eine Erschütterung des Männlichkeitsbildes des Protagonisten an, der sich als „substanzloses Weichei“ (S. 7) bezeichnet. Das Niveau des larmoyanten Duktus wird gehalten, allenfalls aufgelockert durch sarkastische Bemerkungen gegenüber Frauen, Homosexuellen und Migranten. Selbst längst überwunden geglaubte Vorurteilen werden durch den Ich-Erzähler erneut forciert, wettert etwa gegen Niederländer und Briten. Die unsympathisch wirkende Hauptfigur muss man aushalten, was eine literarische, aber auch gleichsam unterhaltsame Herausforderung darstellt. Weiterlesen

Große Themen, skurrile Figuren und ein Okapi

Rezension zu Mariana Lekys Was man von hier aus sehen kann

von Michael Fassel

Ein Dorf im Westerwald als zentrales Setting in einem Roman – das ist in der deutschen zeitgenössischen Literatur eine Besonderheit. Es muss nicht immer Berlin sein, um das pulsierende Leben darzustellen. Denn in ihrem Roman Was man von hier aus sehen kann entwirft die gebürtige Kölnerin Mariana Leky einen lebhaften Mikrokosmos, in dem ebenso skurrile Figuren für amüsante Unterhaltung sorgen. Weiterlesen

Wien-Krimi mit Schönheitsfehlern

Rezension von Michael Fassel

Zuweilen kann ein Folge-Roman aus einer Krimi-Reihe reizvoll sein, wenn man ihn unabhängig von seinen Vorgängern liest. So auch bei Beate Maxians Tod in der Kaisergruft, dem achten, in sich abgeschlossenen Kriminalroman der Sarah-Pauli-Reihe, jener Protagonistin, die sich mit dem Know-How einer Journalistin ganz nah an die Fälle heranwagt. So auch im Fall um den rätselhaften Mord zweier Menschen in der Kaisergruft. Weiterlesen

Zwischen Unbehagen und Ungewissheit

Rezension zu Anna Seghers‘ Transit

von Michael Fassel

„Die ,Montreal‘ soll untergegangen sein zwischen Dakar und Martinique. Auf eine Mine gelaufen. Die Schifffahrtsgesellschaft gibt keine Auskunft. Vielleicht ist auch alles nur ein Gerücht.“ Diese keinesfalls gesicherten Informationen teilt uns der Ich-Erzähler in Anna Seghers‘ Roman Transit mit, der aus einem Konzentrationslager geflohen ist und sich nach dem Einmarsch der Deutschen in Paris nun in der französischen Hafenstadt Marseille befindet, wo er wie viele andere Leidens- und Hoffnungsgenossen auf die Transitpapiere und sein Visa wartet. Doch es tut sich nichts. Die Ungewissheit ist ein ständiger Begleiter der Hauptfigur, der bewusst ist, dass ihr ein ähnliches Schicksal bevorstehen könnte wie den zahlreichen Passagieren, die zu in die Vereinigten Staaten emigrieren wollten, jenem Sehnsuchtsort, an dem sich die Freiheit wieder leben und atmen lässt. Weiterlesen

Zauberhafte Lieder

von Christian Bocksch

Joukahainen, Sohn aus reichem Hause mit einer bezaubernden Schwester, gehört nicht zu den sympathischsten Bewohnern des Landes Kalevala. Der schlaffe Jüngling verfügt jedoch über ein ungesund großes Ego. Er sieht sich als den besten Sänger des Landes, und behauptet am Anfang der Zeit Zeuge gewesen zu sein. Diese Kombination aus Inkompetenz und Hybris rächt sich schließlich, als er den Schlitten eines alten bärtigen Mannes absichtlich rammt. Dieser Mann, der weise Väinamöinen, erwartet eigentlich eine Entschuldigung des Jüngeren, doch dieser beschimpft ihn und fordert ein Wissens- und Gesangsduell. Beides verliert Joukahainen nicht nur, er verspricht Väinamöinen auch die Hand seiner Schwester und setzt damit eine Reihe von Tragödien in Gang.

Galiani

Buchcover „Kalevala“, Bildrechte: © Galiani Verlag 2014.

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Peter Härtling und nackte Kinder am See

von Natalie Meyer

Wieder ist ein berühmter Literat gestorben. Zugegeben: Der Tod von Marcel Reich-Ranicki und Günter Grass haben mich mehr berührt. Denn von Peter Härtling (1933-2017) kenne ich nur ein einziges Buch. Ben liebt Anna.

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Eine kurze Recherche zeigt: Das wird seinem Lebenswerk nicht ganz gerecht, hat er doch den Jugendliteraturpreis 1976 verliehen bekommen. Bevor er zur literarischen Feder griff, war er als Journalist tätig und arbeitete sogar als Mitherausgeber der politischen und kulturellen Zeitschrift „Der Monat“ (bis 1970, die Produktion der Zeitschrift wurde 1987 eingestellt). Nur als kleiner Auszug. Ach, und eine beeindruckende Anzahl von 20 Schulen ist nach ihm benannt.

Es reihen sich in diversen Medien die üblich glorifizierenden und selten kritischen Nachrufe aneinander. Aber ich kann nur an dieses Buch denken, der Mensch dahinter interessiert mich eigentlich kaum. Auf der Buchmesse 2015 hatten wir Literalisten glücklicherweise die Möglichkeit, eine Lesung von Peter Härtling am Rande mitzubekommen. Es waren nicht viele Zuschauer gekommen, für sein neues Buch „Verdi“ schien sich auf der Messe kaum jemand zu interessieren. Und ich spähte nur ein bisschen, um den Autor hinter „Ben liebt Anna“ mal aus der Nähe zu sehen.

Aber was ist das nun für ein Buch? Weiterlesen

Mogador, ein Ort der Träumer und Trinker

von Theresa Müller

Ein junger Mann verlässt fluchtartig seine Heimatstadt Düsseldorf und reist nach Mogador – eine alte Fischerstadt, die heute unter dem Namen Essaouira bekannt ist. Dort angekommen, besucht er ein Dampfbad, in dem er die alte Haut von seinem Körper abreiben lässt und sich einer „Häutung“, sozusagen „Neuschaffung seiner Person“ unterzieht. Damit beginnt der Roman Mogador von Martin Mosebach, in dem Patrick Elff, Investmentbanker, im Glaube an der Veruntreuung von millionenhohen Geldbeträgen beteiligt zu sein, vor den Gesetzeshütern wegläuft. Zwar steht zu Beginn der Kriminalfall im Fokus des Romans, doch einmal in Mogador ankommen, verschwindet dieser in den Tiefen des Meeres und es zeigt sich eine fernöstliche Stadt, die in einem mystischen Nebel zu verschwinden scheint. Weiterlesen

Heitere und nachdenkliche Töne – und die Sehnsucht nach Italien

Eine Rezension zu Jörn Hellers Lyrikband „Gute Gedichte und solche, die es gerne wären“

von Michael Fassel

„Gute Gedichte und solche, die es gerne wären“ – so lautet der jüngst erschienene Gedichtband von Jörn Heller. Schon hinter dem Titel verbirgt sich eine erfrischende Ironie: Nicht jedes Gedicht ist per se gut, will aber gerne gut sein. Das endgültige Urteil darf sich schließlich das Lesepublikum machen. Oder auch die LiteraListen, die gerne mal eine Leseempfehlung geben. Weiterlesen