Kohlenkind

von Kristin Scheller

Ich betrachte sie aus dem Augenwinkel. Hass brodelt in mir wie Gift in einem Hexenkessel. Niemand kennt sie so gut wie ich. Und das ist nicht bloß ein Spruch, nicht nur so daher gesagt. Ich kenne sie – ihren Geist, ihre Psyche, ihren Verstand. Die kleinen Narben und Kratzer auf ihrer Seele, die Risse, die sie durchziehen, die gähnenden Wunden ganz tief in ihr verschüttet – all das ist mir bekannt. Zu bekannt. Mir wird schlecht bei ihrem Anblick, in ihrer Gegenwart zehrt und schüttelt mein Seelenfrieden an mir, dreht mich weg, zieht mich in die entgegengesetzte Richtung.

Ihre Haare, schwarz und stumpf wie ihr Gewissen. Wie eine dunkle Aura umrahmen sie sie, füllen den Magen mit Leere. Hier und da willkürlich zurechtgestutzt und unglücklich kaschiert. „Nein, alles super. Wieso fragst du?“ Wie plattgetreten kleben sie an ihr, gleich ihren Lügen, ihren Taten, ihren Sprüchen. Nie hat sie ein Herz gebrochen, ein Lächeln zerfetzt, ein Leben mit einem Wort zerquetscht. Mit schwarzer Farbe übermalt sieht man nichts dergleichen mehr.

Nur der Abschied ihrer Freundin wird immer sichtbar bleiben, erst blaue Tinte auf vergilbtem Papier, nun schwarze Tinte in verbrannter Haut. „Dein Wort sei mir Befehl.“ Gebrannt, verbrannt, ausgebrannt wie sie. Für immer gebrandmarkt, gebranntes Kind, doch sie scheut das Feuer nicht. Sie rennt hinein, wieder und wieder, um zu folgen oder fliehen, das weiß sie selber nicht.

Gelb ihre Nägel, von all dem Nikotin. In all die kleinen Spalten und Falten ihrer Haut kriecht die Verfärbung hinein, ihre Fingerabdrücke und Nagelbetten, dort wo ihre Gelenke umknicken. Wie gelbe Schmiere, doch unausweichlich an ihr, wie das Schwarz in ihrer Lunge unausweichlich in ihr. Realitätsflucht, Glücksgefühle, Todessehnsucht. Jede Zigarette verkürzt das Leben um Minuten, Minuten werden Stunden, Stunden werden Jahre. Schwarze Farbe verdeckt alles überall.

Riesige Augen und nun schaue ich sie an. Ganz direkt und unverhohlen. Scham ist mir nicht bekannt – nur Hass so unerträglich, dass ich nicht mehr schauen wollen kann. Doch mein Blick bleibt auf ihr liegen, ich zwinge ihn in Richtung ihrer Augen, müde wie sie immer war und groß wie die Schuld in ihrem Herzen. „Würde es einen Unterschied machen? Wäre es egal, ob ich bleibe?“ Worte, die immer mit ihr verweilen, die ihr die Tränen hochtreiben, Worte, die sie nie vergessen wird.

Sie blickt zurück und mein Hass spiegelt sich wieder. Stechend grüne Augen wie das Gift in ihr. Gift, Droge, Virus, Tod. Starr starren sie in meine, starr wie die Leiche ihrer Freundin, steif konserviert, für immer Teil ihrer Erinnerung, ihrer Gedanken, ihrer Träume. „Geh.“ Das Gift verspuckt, die Tat getan, nun auf ewig ausgedorrt. Leblos wie ihr Blick.

Keiner von uns beiden kann dem anderen noch Stand halten. Das Abwenden voneinander ist Balsam für uns zwei. Niemand kennt sie gut wie ich und doch ist sie eine Fremde für mich. Nicht einmal schwarze Farbe kann den Hass noch löschen. Ich blicke auf meine nikotinvergilbten Hände, schließe die tränennassen Augen, lasse meine wutentbrannte Faust auf den Spiegel niederkrachen. Das Glas wackelt und zittert und schwabbelt, doch Kraft hat weder sie noch ich. Nun steht sie vor mir, nach wie vor, bevor das Gift das Bild zersetzt.