Eine Glosse von Patrick Käfer
Liebes SEVON-Vergabesystem für das Referendariat an Schulen,„tausende Lehrkräfte an beruflichen Schulen fehlen zu Beginn des neuen Schuljahres“, „Bundesländer kämpfen um Nachwuchs an der Tafel“, so die Schlagzeile eines Artikels, über den ich neulich gestolpert bin. In meinen Ohren hört sich das schon etwas höhnisch an.
Vielleicht einige Worte zu mir: Ich bin einer dieser angehenden Berufspädagogen, von denen es offenbar viel zu wenige gibt. Damals bin ich noch in den allerletzten Jahrgang des Staatsexamens gerutscht. Ich wollte mich gut vorbereiten und habe freiwillig meine Praktika verlängert und einige Weiterbildungen nebenher gemacht. Gut, ich gebe es zu… ich habe gerne Uniluft geschnuppert und das auch etwas länger. Aber so langsam war es dann auch gut und ich habe mich gefreut, jetzt im September mein Studium abschließen zu können und dann zum November mein Referendariat zu beginnen. Bei der Bewerbung gibt es ein zentrales Zuteilungsverfahren namens SEVON. Man kann vier Ortswünsche für die Seminarbezirke angeben und mit bestimmten sozialen Kriterien Wünsche erfüllt bekommen. Bei meiner ersten Bewerbung hat es leider nicht geklappt. Man wollte mich von Köln ins tiefste Ruhrgebiet versetzen, das waren etwa 150 Kilometer, aber das war noch kein Beinbruch. Ich habe danach mal auf die Karte geschaut und gemerkt, dass Düsseldorf ganz schön mittig lag, wenn man sich mal die voraussichtlichen Ausbildungsschulen anschaute. Und rein zufällig wohnt da auch
mein Freund, den ich über alles liebe. Ich hatte wahnsinnig viel Glück und habe eine Wohnung um die Ecke bekommen und mich super in meiner neuen Stadt eingelebt und sie lieben gelernt, genau wie so einige Menschen dort. Als Schmerzgrenze für die morgendliche Fahrt habe ich 1,5 Stunden einfache Fahrt einkalkuliert und dachte, das klappt. Neben Düsseldorf selbst waren auch die Großräume Duisburg, Aachen und Hagen dabei. Sehr viele gut erreichbare Schulen… ich hatte zwar keine sozialen Kriterien, die meine Zuteilungschancen verbessert hätten, aber ich ging ja schon davon aus, dass da was dabei sein wird. So wartete ich Anfang August sehnsüchtig auf den Brief, der mir sagen würde, wohin die Reise gehen wird. Eines Samstagmorgens war es soweit. Mit noch etwas müden Augen fischte ich den Umschlag aus dem Briefkasten. Mein Herz schlug hoch und ich machte erstmal Pause, legte mich aufs Bett und zog dann langsam das Schreiben heraus. Als ich „Bezirksregierung“ las, grinste ich noch. Als ich das „Detmold“ darunter las, wurde mein Grinsen etwas schmaler und
verlosch dann ganz. Ich widerstand dem Versuch, das Schreiben zu zerknüllen, und verkroch mich unter die Decke. Später las ich dann, dass ich in Bielefeld ausgebildet werden sollte… falls es die Stadt tatsächlich gab, war sie rund drei Stunden Zugfahrt von meinem neuen Zuhause entfernt. Wie gesagt, man braucht ja offenbar dringend neue Lehrkräfte. Und denen bietet man dann natürlich auch sehr nette Bedingungen, damit sie gleich super hineinfinden.
Man soll mal eben 2,5 Monate vor Beginn mehrere tausend Euro aus der prall gefüllten
studentischen Portokasse selbst aufbringen und 200 Kilometer weit weg in eine völlig andere Ecke von NRW ziehen. Nebenbei natürlich noch mindestens eine Doppelmiete für die alte Wohnung. Daneben noch Schulden, die sicherlich mancher Studierende abzustottern hat. Und das Sahnehäubchen des Ganzen… gleich zu Beginn durfte man noch eine verpflichtende Schulung selbst bezahlen… 120 Euro, die nicht erstattet werden. So sieht doch netter Service aus. Und vor allem… in der härtesten Zeit eines Lehrerlebens wird erwartet, dass man all seine sozialen Kontakte vor Ort liegen lässt – egal was mit einer Beziehung oder Freunden passiert. Und wohlwissend, dass man gerade in dieser stressigen Zeit nicht mal eben die drei Stunden pro Weg rüberfährt, wenn man mentale Unterstützung braucht. Sehr freundlich. Da muss ich leider schwersten Herzens ablehnen. Nur meine Liebe für SEVON selbst ist noch geknickter
als meine Motivation und Vorfreude. Nun wird eine dringend benötigte Lehrkraft mindestens ein Semester später starten können, schon aus finanziellen Gründen. Sie hätte auch sehr gerne angenommen und viele Kompromisse gemacht. Doch um die unsichtbare Stadt sehen zu können, sollte man wohl etwas näher wohnen. Ich werde meiner nächsten Bewerbung ein Brillenputztuch beilegen. Könnte ja den Durchblick mancher SEVON-Verwaltungsfachkraft steigern. Bis dahin verbleibe ich als kleiner, verhinderter Lehrämtler und bedanke mich für die freigewordene Zeit und die freigewordenen Stunden für meine zukünftigen Schüler.
Herzlichst, Ihre Bewerbernummer 124772