Mist, wieder nur ein Spiel falsch!

von Ahmad-Id Al-Akkad

Vor gut zehn Jahren galten Sportwetten noch als ein eher harmloser Zeitvertreib. Das hat sich seit der starken Verbreitung von Wettbüros geändert. Reportage Al-Akkad Wettbüro 1

 

 

 

 

 

 

Samstag 15:22 Uhr, Gerold P. sitzt in einem Wettbüro und wartet gespannt auf die Bundesliga-Konferenz. Wie gewohnt hat er eine Vielzahl von Wettscheinen gespielt, in der Hoffnung, einen großen Gewinn zu erzielen. Neben dem allseits beliebten Favoritenschein, Einsatz 200 Euro, hat er zwei Halbzeit-Tipps und eine Auswärtskombi angefertigt. 16:18 Uhr, erste Ernüchterung, die Halbzeit-Tipps landen in der Tonne. Auch beim Favoritenschein sieht es eher schlecht aus, denn der BVB liegt mit 1:2 in Rückstand, obendrein spielt die Mannschaft seit der 30. Minute in Unterzahl. Ziemlich schlechte Aussichten, das Einzige, was Gerold bleibt, ist die Auswärtskombi, 20 Euro hat er darin investiert, dass Bremen, Wolfsburg und Leverkusen in der Fremde gewinnen. Bei den Nordteams verläuft es nach Plan, lediglich die Werkself rennt in Gladbach einem Rückstand hinterher. 16:51 Uhr, kleiner Freudentaumel, Leverkusen hat binnen fünf Minuten die Partie gedreht und liegt mit 3:2 vorne. 17:01 Uhr, der SV Werder Bremen hat seinen Vorsprung auf 3:1 ausgebaut, jetzt müssen nur noch Wolfsburg und Leverkusen in den verbleibenden 16 Minuten die knappe Führung halten. 17:12 Uhr, Gerold in angespannter Sitzhaltung, noch fünf Minuten plus Nachspielzeit, dann hat er die 310 Euro in der Tasche, es darf nur nichts mehr passieren! 17:14 Uhr, „Tooooor in Gladbach“ tönt es aus den Lautsprechern, Gerold zuckt zusammen, jetzt bloß keine Hiobsbotschaft kurz vor Schluss. Ein Erfolg ist ihm jedoch nicht vergönnt, Gladbach hat das 3:3 erzielt, was dann auch der Endstand ist. Gerold winkt ab und verlässt mit gesenktem Haupt den Laden.

240 Euro Verlust binnen 90 Minuten, das sollte normalerweise eine Vollbremsung hervorrufen. Doch der Schweißtechniker aus Schwalmtal denkt nicht daran aufzuhören, schließlich stehen noch reihenweise Tippereignisse an, die er sich nicht entgehen lassen darf. Nach kurzen Überlegungen hat Gerold einen weiteren Schein zusammengestellt, 30 Euro auf Juventus Turin, Real Madrid, AS Saint Etienne, Manchester United und FC Porto, Auszahlung: 181,80 Euro, vorausgesetzt alle fünf Teams gewinnen ihr Heimspiel. Die ersten drei Partien, am Samstagabend, gehen ohne weiteres durch, auch Manchester United macht am Sonntagnachmittag seine Hausaufgaben. Bleibt also das Sonntagabend-Match, FC Porto vs. SC Olhanense, klingt nach einem Selbstläufer. Der FC Porto ist haushoher Favorit, Quote 1.23, die niedrigste in der Kombiwette. Gerold ist sich seiner Sache sicher und zeigt den Schein im Wettbüro herum, einer der anwesenden Kunden weist ihn darauf hin, dass es Unglück bringt einen noch nicht gewonnenen Schein zu zelebrieren …

Es gab Zeiten, in denen Sportwetten noch ein kleineres Übel waren. Bei Bedarf ging man zum nächsten Lottoladen und spielte Oddset: die staatlich anerkannte Sportwette, mit begrenzter Auswahl – die Bundesliga, ein Bruchteil der Zweiten Liga und die Spitzenbegegnungen der anderen großen Ligen.

„Durch das begrenzte Wettangebot ist die Wahrscheinlichkeit in ein exzessives Spielverhalten zu fallen eher gering.“ Ulrich Kleinbrenner weiß, wovon er spricht, jahrelang hat er ein Lotto-Tabak-Geschäft geführt. Seine eifrigsten Oddset-Kunden waren brave Familienväter, die pro Monat 40-60 Euro ausgaben, alles noch im Rahmen.

Ende 2003 folgte ein neuer Trend, das Berliner Landgericht entschied, das Vermitteln von privaten Sportwetten als eine legale Handlung zu betrachten. Schließlich kann man das Vermitteln nicht mit dem Veranstalten von Sportwetten gleichstellen. Ein Entscheid, der ausländische Wettanbieter, wie Tipico oder MyBet, ermutigte bundesweit tausende von Wettbüros zu eröffnen. Das Wettangebot der privaten Unternehmen ist sehr umfangreich: Tennis, Basketball, Eishockey, American Football, Rugby, Snooker, Baseball – man kann auf die verschiedensten Sportarten Wetten abschließen, die beliebteste Wettart bleibt aber der „Fußball-3-Weg“ (Heimsieg – Remis – Auswärtssieg). Wer sich nicht auf die großen Ligen versteift, kann sich an den Werktagen quer durch den Globus tippen, von Finnland Ykkonen bis Südkorea K-League, alles dabei. Neben dem 3-Weg gibt es eine Reihe von Reportage Al-Akkad Wettbüro 2Spezialwetten, wie z. B. Mindesttorsumme, Doppelchance oder Halbzeittendenz. Was man ebenfalls nicht vergessen darf, ist, dass die Quoten bei privaten Anbietern deutlich höher sind als bei Oddset. Alles Faktoren, die Wettbüros unmittelbar nach der Eröffnungswelle in ein attraktives Licht rückten. Für viele männliche Berufstätige, vorwiegend Taxifahrer und Leute im Blaumann, wurden sie zu einer Art Domizil. Anstatt nach Feierabend in der Kneipe einzupendeln, verbrachten sie ihre Freizeit im Wettbüro. Der neu ausgelöste Sportwetten-Hype verleitete Ulrich Kleinbrenner dazu, sein Lottogeschäft aufzugeben und im August 2004 ein Wettbüro in der Duisburger Altstadt zu eröffnen. Das neue Geschäft lief prächtig, vor allem an den Bundesliga-Wochenenden und den Champions-League-Tagen war der Laden bis zum Anschlag gefüllt. ,,Manchmal war es so voll, dass man das Rauchen verbieten musste, andernfalls hätte man keine Luft bekommen‘‘, erzählt Kleinbrenner.

Ein voller Laden bedeutet volle Kassen, so erzielte er pro Monat rund 70.000 Euro. Als Vermittler stehen ihm rund 70 % der Einnahmen zu, das wären knapp 50.000 Euro. Davon musste er die laufenden Kosten abdecken, vier Angestellte entlohnen und die Gewinne auszahlen. Da sich die Gewinne in Grenzen hielten, blieb dem gebürtigen Rheinländer am Monatsende ein staatliches Sümmchen, das er aber verschweigt.

Wie erklärt sich diese plötzliche Begeisterung für das Sportwetten? Ein Großteil der Spieler, die erst seit dem Hype dabei sind, hatten vorher nicht viel am Hut mit Fußball, geschweige denn Wetten. Es sprach sich aber rum, dass man beim Wettbüro ums Eck mit einem geringen Einsatz bis zu 20.000 Euro gewinnen kann – ein paar Fußballspiele richtig tippen und dabei noch nicht mal das Ergebnis angeben, es reicht schon die Tendenz. Ein verlockender Gedanke, also warum noch die Zeit vor dem Spielautomaten verschwenden?! Wenn man auf ein Fußballspiel tippt, hat man weitaus bessere Chancen zu gewinnen, so zumindest der Anschein. Für einige wird der Fußball erst durch das Wetten interessant, wenn man einen gewissen Betrag gesetzt hat, fiebert man richtig mit, da kann jeder Grottenkick zu einer fesselnden Angelegenheit werden. Das Mitfiebern wird in vielen Fällen zu einer verhängnisvollen Sucht. Leute, die sich einmal dran gewöhnt haben, auf Fußball-Partien zu wetten, kriegen Entzugserscheinungen, wenn sie mal ein Wochenende aussetzen müssen. Komischerweise stellen die meisten fest, dass sie gerade an diesen Wochenenden einen positiven Schnitt gemacht hätten.

,,Das ist verruckt! Wenn du spielt, geht alles kaputt, aber wenn du Pause macht, geht alle richtig, ich sag dir, diese deutsche Liga ist verkauft!“ Solche Frustäußerungen seitens ausländischer Mitbürger, vorwiegend aus dem türkischen und arabischen Raum, kann Ulrich Kleinbrenner einfach nicht mehr hören. Nach seinen Angaben sind das vorwiegend Leute, die eher geringe Beträge setzen und dann auf Teufel komm raus gewinnen wollen. Die benehmen sich teilweise „wie die letzten Schweine“, verschütten den Kaffee, beschädigen bei Wutausbrüchen die Stühle und beim Verlassen des Ladens bleibt ihr ganzer Papierkram auf dem Tisch liegen. Allerdings kann sie Ulli, so wird Kleinbrenner von all seinen Kunden genannt, nicht rauswerfen, denn sie sorgen immerhin für einen Drittel des Umsatzes.

Sportwetten ist ein waghalsiges Hobby, anfangs wirkt es harmlos, doch wer nicht aufpasst, kann sich böse hineinsteigern. Man fängt klein an mit drei bis zehn Euro Einsatz auf eine Kombinationswette. Meistens geht es schief, doch manchmal liegt man richtig. Die kleinen Erfolgserlebnisse bewahren die Freude am Spielen. Durch die ständigen Misserfolge ist man regelrecht abgehärtet, es macht einem nichts mehr aus zehn Euro zu verlieren. Die Relation zum Geld geht verloren und man steigert das Pensum. Fortan werden Scheine für 20 Euro gespielt. Den Verlust von 20 Euro können die Zocker auch noch verkraften. Wenn sich das aber mehrfach wiederholt, schlägt das aufs Gemüt. Dann neigen viele dazu, den Fünfziger aus dem Portemonnaie zu zücken, um den Verlust wieder reinzuholen. Ab diesem Punkt wird es gefährlich. Wetten mit höheren Einsätzen, sprich ab 50 Euro, haben immer einen Charakter des Erzwingens. Es kommt selten vor, dass jemand mit 100 Euro einen Underdog anspielt. Meistens werden drei bis fünf haushohe Favoriten gepickt, damit wähnt man sich auf der sicheren Seite. Bekanntermaßen können auch mal klare Favoriten patzen, dann ist man erneut sein Geld los. Man erstellt eine weitere Favoriten-Kombi, doch diese findet nur in den wenigsten Fällen ihr Ziel, in der Regel ist ein faules Ei dabei. Wenn man an einem Freitag mit 500 Euro in die Wettbude geht und am Samstagabend feststellt, dass nur noch 3 Euro übrig sind, dann kann man getrost von einem Blackout sprechen. Ähnliches bahnt sich bei Gerold P. an …

Zu Gerolds Enttäuschung ist der FC Porto nicht über ein 1:1 hinausgekommen. Damit sind es insgesamt 260 Euro Verlust, ganz schön happig, aber es gab schon schlimmere Wochenenden. Außerdem stehen an jenem Sonntag noch ein paar Begegnungen in Südamerika an, mit deren Hilfe dieser könnte Gerold zumindest einen Teil seiner Verluste zurückholen. In seiner Geldbörse herrscht zwar Ebbe, allerdings könnte er den Ulli fragen, ob er ihm 50 Euro auslegt. Kleinbrenner spielt da aber nicht mit, er hat so viele Außenstände, dass er es sich nicht erlauben kann einen weiteren Betrag anzuschreiben.

,,Wenn du als Unternehmer einem Zocker Geld leihst, verliehst du den Zocker und das Geld.‘‘

Eine der vielen Weisheiten, die sich Kleinbrenner im Laufe der Jahre angeeignet hat. In der Vergangenheit hat er einigen Stammkunden sein Vertrauen geschenkt und Beträge in drei-, gar vierstelliger Höhe angeschrieben. Die Kunden versprachen ihm das Geld bei der nächsten Gehaltsauszahlung wiederzugeben, jedoch hielten sich nur die wenigsten daran. Der Großteil zahlte deutlich später oder tauchte erst gar nicht auf, somit blieb Kleinbrenner auf den Schulden sitzen. Es soll sich um einen vierstelligen Betrag handeln, genauere Auskunft will er nicht geben.

Der Sportwetten-Hype, der bei der WM 2006 seinen Höhepunkt erlebte, ist derweil deutlich zurückgegangen. Die monatlichen Einnahmen in Kleinbrenners Büro sind demnach um 20-25 % gesunken. Seit geraumer Zeit werden Sportwetten in der Öffentlichkeit als eine ernstzunehmende Krankheit thematisiert. Das hat vielen Zockern letztlich den Schub gegeben, eine Therapie gegen Spielsucht in Angriff zu nehmen. Bei einigen hat es gewirkt, andere sind rückfällig geworden.