Tausendundeinhundert Lichter.

von Susann Vogel

Das Herz, das Herz, das Herz –

Ich habe einen Stern gesehen.

Ich tippe mir drei Mal gegen die Stirn, um Aufmerksamkeit zu wecken – die Aufmerksamkeit des mächtigen Unwetters zwischen meinen Ohren. Das Unwetter ist die Maskenlosigkeit. Das Gegengewicht zum Erdrückenden. Ich muss draußen stehen, um nach drinnen zu schauen. Ich muss dicht an den Rand heran, um mich in der Mitte zu positionieren. Ich kann nicht gefunden werden – als das, was fehlt. Denn ich bin Ergänzung.

Ich reise. Verse im Ohr, bin ich auf der Fahrt. Die Speichen meines Rades schnurren und schnurren und schnurren und ich falle in Baumumrisse. Über dem See eine Möwe. Mein Schatten liegt hinter mir und begleitet mich. Ich breche durch die Struktur des Lichts und atme. Ein und aus und ein und aus und immerzu: Ein und aus. Allein für dieses Licht, dieses Licht, das die Fichten fangen, 5 Uhr am Nachmittag, zurückgeworfen von lachenden Birken, allein für jenes Licht liefe ich weiter als bis ans Klippenende der Welt.

Am Fenster stehe ich und warte, auf keinerlei Zeichengebung. Ich verhungere an Atemspuren, hadere mit den Opfern. Eine ordentliche Scheibe Brot, ein Esslöffel Leinöl, eine treue Prise Salz und eine Hand voll Petersilie wären genug. Zur Klarsicht hülle ich mich in die Kryptographie des Waldes und kenne mich zur Freude nie ganz selbst. Mit eben diesen Birken im Rücken komme ich zurück, um ein jedes Ding gleich verändert vorzufinden. Wir sahen doch aber alle stets denselben Mond, nicht wahr?

Ich finde mich in Metaphern wieder. Winde mich unter ihnen hin und her und erkämpfe mir Wort um Wort. Ich vergehe im Bemühen, zu erkennen. Ich –

Ich könnte die Trommel sein, mit der man um den Christbaum läuft. Das Flimmern, das Flirren der Gitarrensaiten, ein Flageolettton, das Leuchten des Lacks in Neonfarben auf den Daumennägeln des Sängers.

Ich könnte der Desinfektionsgeruch auf Krankenhausmatratzen sein, das Waschmittel, das ewig in den Haaren hängt und die Idee vom Punk-Café auf Usedom samt Fliesenboden im Schachbrettmuster. Die Hundezunge, die aus der Badewanne säuft. Ich könnte die Angst vor dem Friseur sein, ein Bett in einer Weltenesche und die Dachschräge 4 Uhr in der Frühe. Die ausgerissenen Flügel eines Schmetterlings oder ein Marienkäferohrring.

Der Versuch DONNIE DARKOs.

Das Wort „Wahrheit“ geschrieben an den oberen Rand einer Seite von Thoreaus WALDEN, in großen Druckbuchstaben. Ich könnte zerschlagene Milchflaschen, das Vermissen und Versprechen, der Anfang und die Königin des Supermarktes sein. Ein Slow Motion Suicide. Ein Soundcheck, Special K.

Das Fernsehen und die roten Strähnen des Schlagzeugers, die unaufgeforderte Antwort auf einen Brief, die Einsicht und der Mut. Der Riss in einer Jeans und in einem Tonband, -band, -band, -band …

Im Alltag.

Eine Schreibmaschine.

Die Assoziation zu Black Sabbath, Bowie und PJ Harvey. Eine Hommage an Wurtzel, Kafka, Labrèche oder Haushofer. Das Logo einer Band und Sherlock Holmes in einer französischen Fanfiction. Eine Kiefer. Ich könnte die Kornblume sein, inmitten eines Blaumohnfeldes, auf der Suche nach dem Zustand des Friedens. Die Entdeckung eines Dinosauriers. Ich könnte vollkommen, könnte endlich, ich könnte bewusst sein. Die Ursache für jemandes Vertrauen und Hoffen und Glauben. Ich –

Bin die Narben und der Schimmer. Der Kater. Getan, nicht bereit, vorbei. Ein Korrekturleser. Das Medium, nicht der Geist. Die Muse, die Muse, die Muse. Ich könnte ein Poet sein.

Ich. Ich. Ich.

Ich bin Pierrot, der Clown.