„Ein Tipp für den Titel: Wir bauen uns ein Atomkraftwerk. Und mit viel Glück wird er dann im Deutschunterricht als Beispiel für eine Satire gelesen.“ Vielleicht liegt ja auch die Wortmeldung von Michael Fassel eines Tages vor den Schülern.
von Michael Fassel
Fast genau vier Jahre sind vergangen, als die Nuklearkatastrophe von Fukushima globale Aufmerksamkeit auf sich zog. Was ist seitdem passiert? Der Traum von einer globalen Energiewende ist noch meilenweit entfernt, aber entscheidende Schritte sind getan, denn immerhin hat das Erdbeben in Japan nicht nur das schwarz-gelbe Gefahrensymbol, sondern auch die damalige schwarz-gelb gefärbten Überzeugungen von einer unverzichtbaren Atomenergie erschüttert. Ob Deutschland und Belgien, die ihren Ausstieg per Gesetz beschlossen haben, sogar eine Vorreiterrolle innehaben, wird abzuwarten sein. Vielleicht sollten wir es schon als Fortschritt betrachten, dass hierzulande keine neuen Atomkraftwerke in Planung sind, wie etwa in Großbritannien, das zwar fast zehn seiner 16 Anlagen abschalten, aber gleichzeitig ein neues Werk bauen will. In bislang nuklearfreien Ländern wie Polen und der Türkei werden erste Reaktoren geplant. Man muss sich seine Augen zwei Mal reiben, wenn man liest, dass in Asien etwa 100 Atomkraftwerke gebaut werden sollen. Allein in Indien will Russland 25 Anlagen errichten. Tröstlich mag der Gedanke sein, dass nicht alle Bauvorhaben umgesetzt werden. Aber stehen sie einmal, werden die neuen Atommeiler so schnell nicht mehr abgeschaltet.
Großteile der Weltgemeinschaft fordern also auch nach Fukushima die unsichtbare Bedrohung heraus, haben so betrachtet nicht viel aus der Wirklichkeit gelernt. Kann Fiktion mehr bieten? Diese Frage wird sich eine der größten Kritikerinnen der Atomenergie, die Schriftstellerin Gudrun Pausewang gestellt haben. Die heute 87-Jährige schrieb ein Jahr nach der Tschernobyl-Katastrophe den Jugendroman Die Wolke, in der sie die Folgen eines Super-GAUs in Grafenrheinfeld kompromisslos erzählt und eine Gesellschaft entwirft, in der nur noch zwischen Kranken und Gesunden unterschieden wird. Nach Fukushima brachte sie 2012 Noch lange danach auf den Markt, ein Jugendbuch, in dem sie ein strahlenverseuchtes Deutschland 40 Jahre nach einer Reaktorkatastrophe entwirft. Beruhigend ist, wenn es die Jugend von heute liest und diese für Beschwichtigungen der Atomlobby sensibilisiert. Wenn man sieht, dass Pausewang heute aus dieser Ecke Gegenwind bekommt, dann kann Fiktion viel bieten. Denn solange die Befürworter der Atomkraft sich mit rot angelaufenem Kopf über Die Wolke und Noch lange danach ärgern und Pausewang vorwerfen, sie schüre nur Ängste, dann haben die Romane offenbar etwas entlarvt, was der Atomindustrie überhaupt nicht gefällt. Aber da Literatur keine Grenzen kennt, steht es den Verärgerten frei, einen Roman zu schreiben, anstatt gebetsmühlenartig zu sagen, dass ohne Atomenergie alle Lichter ausgingen. Darin können sie dann den Bau eines Kernkraftwerks feiern. Als Cover könnte ein grauer Atommeiler dienen, auf dem eine Sonnenblume mit Smiley gemalt ist. Ein Tipp für den Titel: Wir bauen uns ein Atomkraftwerk. Und mit viel Glück wird er dann im Deutschunterricht als Beispiel für eine Satire gelesen.