von Dinah Fischer
Inzwischen sind wir schon ein paar Schritte weit in 2015 unterwegs. Haben schon mal ein paar Tage gekostet, können aber doch noch nicht so recht sagen, ob wir den Geschmack wirklich mögen. Ich fühle mich in dieser Zeit immer etwas unbehaglich, orientierungslos. Und dann ist da diese Chance, die beinahe etwas von einer Pflicht hat, den Jahresanfang auch für eigene kleine Anfänge zu nutzen – oder für einen großen. Ganz so, als wären die ersten Januartage die einzige Zeit, in der du etwas beginnen oder verändern darfst. Mir sind – und damit stehe ich vermutlich ziemlich alleine da – die Monate ab September lieber. Sobald die Luft anfängt, nach Herbst zu riechen, kann ich mich entspannen: Jetzt geht es wieder abwärts. Nicht im negativen Sinne, sondern so, wie wenn man im Winter einen steilen Berg hinaufgestiegen ist und nun mit dem Schlitten hinabsausen darf. Das Jahr beginnt auszuatmen und pustet dich sanft bergab Richtung Weihnachten, dessen warme Lichter dir wie eine einladende Landebahn entgegenleuchten. Auf einer Welle von Süßigkeiten und weihnachtlicher Freundlichkeit gleitest du durch die Zeit zwischen den Jahren und rutschst schließlich in einen neuen Januar, wo du mehr oder weniger sanft zum Stehen kommst. Neben dir landen noch ein paar letzte Marzipankartoffeln. Du stehst auf und wirfst einen Blick zurück auf die vergangenen zwölf Monate, leicht unsicher, was du damit anfangen sollst. Vielleicht schießt du sie in den Wind, zusammen mit ein paar sprühenden Feuerwerksraketen, damit es nicht so traurig aussieht. Oder du faltest sie ruhig zusammen und legst sie auf den – mehr oder weniger hohen – Stapel, zu den bisherigen. Vielleicht rahmst du sie dir auch ein und hängst sie neben dein Bett, weil sie dir so gut gefallen haben.
Wie auch immer – irgendwann musst du dich wieder umdrehen und der Tatsache ins Auge blicken, dass du nicht genau weißt, wo du bist. Vor dir liegt eine weiße Fläche wie ein leeres Blatt mit nichts als einem mahnend blinkenden Cursor in der linken oberen Ecke, der dich unmissverständlich dazu auffordert, ja etwas Nützliches mit der neuen Seite anzufangen. Weil dir vorerst nichts anderes einfällt, tippst du hastig ein paar gute Vorsätze aufs Papier: Mehr Sport, weniger Stress, das passt immer. Du faltest den Zettel zusammen, packst ihn in die neue Tasche, die du vielleicht zu Weihnachten bekommen hast, und machst dich an den Aufstieg des Zweitausendfünfzehners.
Während du noch gezögert hast, ist die Welt um dich herum einfach weitergelaufen. Sie kümmert sich nicht darum, welches Jahr die Zeit schreibt. Die Welt hat auch keine guten Vorsätze (weniger Krieg, mehr Herzlichkeit). Weiterhin verschwinden Flugzeuge, verbrennen Schiffe, wird Pressefreiheit tödlich geahndet. Dagegen stehst du mit deiner kleinen Menschlichkeit und deinem festen Vorsatz, dieses Jahr mehr Sport zu treiben.
Irgendwo auf Höhe des ersten Drittels, vielleicht im Mai, fängst du an, die Aussicht zu genießen und bekommst eine Vorstellung davon, wo du bist und worauf du zukletterst. Vielleicht ziehst du jetzt deine Liste mit den guten Vorsätzen aus der Tasche und kommst dir ein bisschen erbärmlich vor, entweder, weil du es nicht geschafft hast, sie einzuhalten, oder weil du merkst, dass sie eigentlich nichts mit deinem Leben zu tun haben – ebenso wenig, wie das Vorsatz-Papier in einem Buch etwas mit der eigentlichen Geschichte zu tun hat. Macht aber nichts, du brauchst keine Vorsätze mehr, mittlerweile hast du Vorhaben. An denen hangelst du dich empor, in Richtung der Sommermonate. Inzwischen ist dir klar geworden, dass auch dein Leben eigentlich keine Rücksicht darauf nimmt, in welchem Jahr es sich befindet. Du bekommst keine neue Biographie, nur weil du einen neuen Kalender kaufst. Vielleicht bekommt deine Geschichte ein paar neue Handlungsstränge, aber die fliegen dir nicht mit dem Neujahrswind vor die Füße, um dann zusammen mit dem Schnee zu schmelzen, wenn du sie nicht rechtzeitig aufhebst. Du kannst sie liegen lassen oder später aufsammeln. Vielleicht pflückst du dir auch lieber im Frühling oder Sommer ein paar Anfänge zusammen oder lässt sie dir mit ein paar Herbstblättern vor die Nase wehen.
Anfänge schwirren um dich herum, ständig. Du musst sie nur auffangen, wann immer du magst.