Das Interview wurde von Minou Wallesch geführt.
Die Schweizer haben sich mit einer knappen Mehrheit für eine Einwanderungsbergenzung aus EU-Ländern entschieden. Eine Studentin der Uni Siegen macht sich Gedanken über ihre Zukunft in der Schweiz.
Caro K. ist gerade in die Schweiz ausgewandert. Davor hat sie Literatur, Kultur, Medien sowie Kommunikation und Medien studiert. Sie wohnt jetzt zusammen mit ihrem Freund in Zürich und möchte gerne als Moderedakteurin arbeiten. Dass ein Votum „Gegen Masseneinwanderung“ aus Europa in die Schweiz Erfolg haben könnte, hatte sie nicht geglaubt.
Du bist ganz frisch in die Schweiz ausgewandert, warum?
Ich bin vor fünf Tagen ganz in die Schweiz gezogen. Davor pendelte ich immer zwischen Siegen und Zürich. Nach sechs Jahren Fernbeziehung und zu vielen Kilometern auf meinem Tacho ist es nun mal Zeit, am gleichen Ort wie mein Freund zu leben. Die bessere Bezahlung von Internships und die Liebe zur Stadt Zürich sind zwei weitere Gründe für meine Auswanderung.
Welche Jobchancen hast Du Dir mit Deinem Studium Literatur, Kultur, Medien in der Schweiz ausgerechnet, bevor Du von dem Votum erfahren hast?
Eigentlich wußte ich, dass meine Chancen gut stehen. Dies liegt allerdings nicht unbedingt an meinem Studium, sondern an der Erfahrung, die ich während einer freien Mitarbeit bei einer großen Modezeitschrift schon vor dem Studium gesammelt habe. Mir ist auch bewusst, dass ich mit meinem Bachelor-Abschluss keine direkte Festanstellung erhalte und deswegen über Internships in die Berufswelt einsteigen werde. Allerdings muss man sagen, dass der Schwerpunkt der Schweizer Studiengänge in der Wirtschaft liegt und deswegen ein kreativer Kopf zwischendurch erwünscht ist.
Wann hast Du von dem Votum erfahren, was war Dein erster Gedanke dazu?
Das erste Mal habe ich im letzten Herbst von der Initiative gehört und dachte mir, dass das auf keinen Fall durchkommen kann. Die SVP hat in den letzten Jahren schon mehrere solcher absurden Initiativen vorgestellt und ich hätte damit gerechnet, dass diese auch darunter fällt und der vernünftige Schweizer mit „Nein“ abstimmt.
Was glaubst Du ist der größte Anreiz, in die Schweiz auszuwandern?
Für die Meisten auf jeden Fall das Gehalt. Allerdings denken viele nicht daran, dass in der Schweiz die Lebenshaltungskosten extrem hoch sind und werden ganz schnell enttäuscht, wenn sie für ihr Bier im Club 15 Euro ausgeben. Das gleicht sich ganz schnell wieder aus.
Wie reagiert Dein Umfeld auf das Votum; weißt Du, wie deine Freunde abgestimmt haben?
Meine Schweizer Freunde sind schockiert, aber irgendwie auch nicht überrascht. Da wo die Einwanderung am stärksten spürbar ist, wie hier in Zürich, ist sie offenbar kein Problem. Das mag paradox klingen, aber es ist eben bekannt, dass die Bewohner von ländlichen Gegenden wie Appenzell Innerrhoden lieber unter sich bleiben möchten. In meinem Bekanntenkreis sind alle gegen das Votum.
Hast du jetzt Angst, dass es schwierig für dich wird einen Job zu finden oder dass du gar nicht bleiben darfst?
Ich stecke gerade im Bewerbungsprozess und habe natürlich Angst. Allerdings geht es sicherlich jedem Absolventen so, der gerade frisch von der Uni kommt. Jetzt müssen erstmal die Kontingente für Einwanderer festgelegt und die bilateralen Verträge mit der EU neu ausgehandelt werden. Mal sehen, wie lange das dauert und ob man sich einigt. Wenn ich aus irgendwelchen Gründen, die aus diesem Votum resultieren, nicht bleiben könnte, würde mir der Schritt zurück nach Deutschland sehr schwer fallen.
Findest du die Angst der Schweizer gerechtfertigt, dass zu viele Menschen einwandern? Solche Stimmen gibt es ja auch in Deutschland.
Es lassen sich jährlich 80.000 EU-Bürger in der Schweiz nieder. Das mag für ein kleines Land nach viel klingen, jedoch wäre die Schweiz ohne sie heute nicht da, wo sie nun mal ist. Dieses Land verdankt seinen Reichtum in den letzten Jahren unter anderem auch der Öffnung gegenüber der EU und dem freien Personenverkehr, der qualifizierte Arbeitskräfte hier her gebracht hat. Nur 19 Prozent der jungen Schweizer machen Matura (Schweizer Abitur), der Rest eine Lehre. Die Schweizer Wirtschaft ist quasi abhängig von der Zuwanderung und ich weiß nicht, wie die SVP sich das alles vorstellt.
Hättest du gedacht, dass sich eine Mehrheit zu diesem Entschluss bilden kann?
Nein. Ich dachte mir, dass die wirtschaftlichen Bedürfnisse des Landes mehr wiegen, als alle Ressentiments und es deswegen erst gar nicht zur Abstimmung kommt. Außerdem war ich der Meinung, dass die Mehrheit der Schweizer nicht so intolerant sein kann.
Du lebst ja schon eine Weile zumindest zeitweise in der Schweiz, hast du da den „hohen“ Ausländeranteil (über 20 %) bemerkt oder eventuelle Probleme, die daraus entstehen?
Ja, besonders an Universitäten und in großen Städten fällt einem der „hohe“ Anteil auf, was aber wiederum einen gewissen multikulturellen Charme mit sich bringt. Auffallend ist der Unterschied im Umgang mit Zuwanderern in ländlichen Gegenden und großen Städten. Während man in Städten wie Genf oder Zürich nicht auffällt, können unangenehme Begegnungen mit Schweizern in Kantonen wie St. Gallen oder dem Thurgau (Grenzgebiet Deutschland) durchaus vorkommen. Einmal wurden wir auf einem Fußballplatz als „Schiss Dütsche“ beschimpft und ein Schweizer dachte er provoziere, indem er uns „Neuland“ hinterher rief. Solche dummen Kommentare nimmt man dann einfach hin. Bisher hat sich niemand von meinen Schweizer Freunden beschwert, dass wir ihnen den Arbeitsplatz oder den Sitzplatz in Bus und Bahn wegnehmen. Das liegt aber sicher auch daran, dass das sowieso tolle Menschen sind und lieber mit dem Velo (schweizerdeutsch für Fahrrad) fahren.