von Lisa Pilhofer
Ich mache Urlaub in Berlin. Dort haben meine Großeltern einen sogenannten Schrebergarten, auch Kleingarten oder Laube genannt, der sich in einer Kleingartenkolonie befindet. In dieser Kolonie gibt es ein Vereinshaus und eine Kneipe. Das Vereinshaus bzw. der Besitzer der Kneipe organisieren manchmal Veranstaltungen: gemeinsames Fußballgucken, Sommerfest, Kinderfest, Grillabende usw. Außer beim Fußballgucken ist der ganze Spaß mit Musik untermalt. Manchmal aus der Büchse, manchmal mit „Sängern“, die live und in Farbe auf der kleinen Bühne performen. Bei Veranstaltungen wie dem Kinder- oder Sommerfest marschiert auch die Vereinsgesponserte kleine Kinderkapelle mit schief klingender und nervenzerfetzender, vor etlichen Jahren eigens für solche Gelegenheiten komponierter Marschmusik über den großen Vereinsplatz. Die weniger glücklichen Pächter eines solchen Kleingartens (wie wir) haben ihren Garten direkt an diesem Platz und haben das zweifelhafte Vergnügen, diesem Spektakel aus der Nähe beizuwohnen, ob es ihnen passt oder nicht.
Dieses Wochenende fand wieder so ein Event statt. Normalerweise besteht die Musik dabei aus einem Mix aus Neuem und Altem, Schlager, Popmusik, Klassik-Rock und dergleichen. Diesmal war es anders. Eigentlich hatte ich vor, in Ruhe die Sonne zu genießen (36 Grad! Keine Wolken!) und entspannt zu lesen. Dann hörte ich den Soundcheck: „Aaaaateeeemlooos, durch die Naaaacht!“ Mal leiser, mal lauter. Dann: „I bin wie I bin, I tanz und sing, I moach mei Ding!“ Mal leiser, mal lauter. Anschließend zwei weitere Lieder, an dessen Textfetzen ich mich gottseidank nicht erinnern kann – mal leiser, mal lauter. Ok, dachte ich, die haben hier wieder ein musikalisch begleitetes Zusammensein für die Kleingärtner. Damit hätte ich noch leben können, schließlich habe ich schon einige dieser Events – wenn auch passiv und unwillentlich – miterlebt. Doch diesmal, diesmal war es anders. Nach dem Soundcheck fragte lauthals und mit entschieden zuviel Fröhlichkeit eine Animateurin, wie viele Omas und Opas denn anwesend seien. Sooo viele? Und wie viele Enkel haben Sie denn? Drei? Und wie alt sind Sie? 81 Jahre! Applaus! Wahrscheinlich eine Ü-60 Party, dachte ich. Und dann wurden Schlager gespielt. Von 12 Uhr mittags bis 6 Uhr abends. Schlager. Darunter 3 Mal „Atemlos“ von Helene Fischer. Es war Körperverletzung. Mehr noch: seelische Grausamkeit. Es war keine Ü-60 Party (manche hatten sogar ihre Enkel dabei), sondern eine Schlagerparty mit „Radio B2, dem Schlagerradio Deutschlands“! Ich wusste bis dato nicht mal, dass es sowas gibt. Und ich konnte nicht flüchten. Ich musste mir alles anhören. Mehrmals. 6 Stunden lang. Mit Pausen, gefüllt von dem belanglosen Gelaber einer übelst angeheiterten Radiomoderatorin.
Neben „Atemlos“, dem Typen, der „sein Ding moacht“, einem offensichtlichen Motivationsschlager („Duuuu SCHAFFST das!“) und diversen anderen Schlagern, erinnere ich mich besonders an einen, bzw. an eine Zeile dieses Schlagers: „Wir sind Matroooooseeeen in Lederhooooooosen! Ja das HAT die Welt noch NICHT geseeeeehn! Jaja Matroooooosen in Lederhooooosen…“
Matrosen in Lederhosen. Ich kriege dieses Bild nicht mehr aus meinem Kopf.